Tod in Kreuzberg
Loewe-Flachbildschirm.
Udo war groß und dünn und trug einen Kinnbart, der sein Gesicht noch verlängerte. Das war knochig, die schwarzen Augen lagen tief in den Höhlen. Er zeigte auf die Sitze und schenkte ungefragt ein. Matti war der Typ auf den ersten Blick unsympathisch. Udo setzte sich auf den freien Sessel und deutete auf Zucker und Milch.
»Schön, dass du gleich Zeit für uns gefunden hast«, sagte Dornröschen, die ihn angerufen hatte.
»Ehrensache.« Udo lachte verdruckst.
»Es geht um den Mord an Rosi …«
»Schlimme Sache, ich habe sie gemocht«, warf Udo ein.
»Sie war eine Freundin von uns.« Dornröschen blickte ihn aufmerksam an.
»Ich weiß, sie hat es erwähnt. Schlimme Sache«, wiederholte er.
»Wir glauben, sie wurde ermordet, weil sie an den Aktionen teilnahm«, sagte Matti. »Und dass vielleicht die Kolding-Leute damit zu tun haben.«
Udo lehnte sich zurück und blickte zur Decke. »Keine Ahnung. Komische Sache.«
»Die hätten ein Motiv«, sagte Twiggy.
Udo nickte. »Klar. Den Drohbrief kennt ihr?« Er wartete, bis Matti nickte. »Den haben wir gekriegt, nachdem die Jungdynamiker uns besucht hatten. Mag Zufall sein. Oder auch nicht.«
»Rosi wollte mir was geben, damit ich es in der Stadtteilzeitung veröffentliche«, sagte Dornröschen. »Weißt du was davon?«
Udo überlegte und schüttelte den Kopf.
»Wie gut hast du Rosi gekannt?«, fragte Twiggy. Matti hörte dessen Stimme an, dass er den Typ genauso wenig mochte.
»Nicht so gut. Ich fand sie … nett, zuverlässig, sehr aktiv, immer mit dabei …«
»Du ja nicht so«, sagte Matti.
Udo blickte ihn ein paar Sekunden fragend an. »Ich habe nicht viel Zeit. Aber wenn, dann häng ich mich rein.«
»Von dir stammt die Idee mit den Wortprotokollen«, sagte Dornröschen.
Udo nickte.
»Warum?«
»Um die Debatte zu dokumentieren.«
»Keine Angst, dass das den Bullen in die Hände fällt?«
»Nein, außerdem steht nicht alles drin. Wir nehmen das auf, dann tippt es einer ab. Aber es wird nicht alles abgeschrieben. Du verstehst …« Er blinzelte.
»Das ja, aber nicht, warum das überhaupt aufgenommen wird.«
»Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens halten wir so jeden auf dem gleichen Stand, zum Beispiel mich, ich bin viel auf Achse. Zweitens können wir das später einem linken Archiv geben. Unsere Diskussionen stehen gewissermaßen stellvertretend für Debatten, wie sie in Antigentrifizierungsinitiativen geführt werden. Drittens, und das gehört dazu, werte ich die Protokolle aus als Teil meiner Doktorarbeit in Soziologie an der FU. Das nennt man Feldforschung und teilnehmende Beobachtung.« Er sah bedeutend aus.
Matti blickte sich um. Alles teuer, alles ziemlich neu. »Und viertens wäre deine Feldforschung für die Bullen ein gefundenes Fressen.«
»Quatsch«, sagte Udo. »Du findest nicht einen einzigen Hinweis auf konkrete Aktionen in den Abschriften.«
»Und die Bänder?«
»Die Aufnahmen werden nach der Abschrift sofort gelöscht. Übrigens gibt es kein Band, sondern einen MP3-Rekorder.« Wieder ein bedeutender Blick.
»Wer garantiert das?«, fragte Twiggy.
»Es sind immer mindestens zwei dran mit dem Abschreiben, und beide vergewissern sich, dass die Aufzeichnung gelöscht ist.«
»Mein Gott, das ist ja wie auf ’ner Behörde«, stöhnte Twiggy.
Udo grinste verklemmt. »Das ist wegen der Doktorarbeit, ihr versteht.«
Matti ließ seinen Blick noch einmal im Raum schweifen. »Du hast im Großmarkt gearbeitet, in Hamburg?«
Udo nickte.
Mattis Augen zeigten auf die Hi-Fi-Anlage und den Fernseher. Udos Augen folgten. Er schüttelte den Kopf.
»Du hast Bananenkisten geschleppt?«, fragte Dornröschen beiläufig.
Udo nickte und schüttelte wieder den Kopf. »Ich habe Fruchtkisten befördert, geschleppt wird so was schon lang nicht mehr.«
»Aha«, sagte Twiggy. »Und davon wird man reich.«
»Natürlich nicht«, erwiderte Udo. »Aber sie haben mich zum Abteilungsleiter in der Logistik gemacht. Und da verdient man einigermaßen. Konnte mir was zurücklegen.«
Matti war überrascht. Eine einfache Erklärung.
»Das lässt sich leicht überprüfen«, sagte Udo. »Ich finde es übrigens echt Scheiße, dass ihr mir nicht traut.« Er stand auf und verließ den Raum. Sie schwiegen. Nach einer Weile hörten sie die Toilettenspülung. »Aber diese Protokollgeschichte ist doch blödsinnig. Für seine Doktorarbeit …«, flüsterte Matti.
»Und dass ich promoviere, könnt ihr auch prüfen. ›Soziale Bewegungen
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