Tod Live
etwas, was ich das Talent zur Freude nenne. Findet man heute selten. Vielleicht hatte erst der wohlmeinende Dr. Mason kommen müssen, um diese Fähigkeit an die Oberfläche zu bringen, doch sie war eindeutig vorhanden. Die echte, die kontinuierliche Katherine Mortenhoe besaß das Talent zur Freude. Von der nächsten Telefonzelle aus rief ich Vincent an, holte ihn aus dem Bett, um ihm meine Beobachtung zu schildern.
»Freut mich zu hören«, sagte er. »Gestern sah ihre Freude noch ganz anders aus.«
»Du hast mir nicht gesagt, daß du mit ihr gesprochen hast.«
»Nur kurz. Eine Hymne des Hasses. Nichts Berichtenswertes.«
»Glaubst du noch, daß sie unterschreibt?«
»Bei irgend jemandem schon. Und wir sind führend auf dem Gebiet.«
»Ich hätte sie angesprochen, bei der Stimmung, in der sie ist. Aber sie hat sich eine Drei-Tage-Plakette besorgt.«
»Beste Lösung. Da hat sie Zeit, sich zu orientieren. Und du hältst dich an die Anweisungen. Ich hebe den Charme unseres guten Roderick bis zuletzt auf.«
Danach plauderten wir noch über dieses und jenes. Es war irgendwie ein freundlicher Morgen.
»Hast du ein paar gute Aufnahmen von ihrer Tanzerei?« fragte er.
»Zwei Minuten. Vielleicht mehr.«
»Könnte eine gute Einleitung werden. Vielleicht zum Unterlegen der Titel. Verrückt. Gegen die Kritiker, die uns immer als morbide bezeichnen.«
»Machen sie dir Kummer?«
»Ich dachte eher dir.«
»Das war vorgestern.«
»Ich will nicht fragen, was diese notwendige Umstellung bewirkt hat.«
»So formuliert, beginne ich mich selbst zu fragen.«
Er lachte. »Ihr Künstlertypen seid doch alle gleich. Und ruf mich doch bitte außerhalb der Schlafenszeit an, wenn du wieder mal deine gute Laune verbreiten willst. Wir sind nicht alle mit der goldenen Gabe der Schlaflosigkeit gesegnet.«
Nur Vincent hätte das so formulieren können.
»Gut«, sagte ich und stimmte in sein Lachen ein.
Aber er hatte schon aufgelegt, und mein Lachen war vergeudet. Wenn ich ihn jetzt noch einmal anrief, würde sich sein Telefondienst melden. Ich trat wieder in den hellen Katherine-Mortenhoe-tanzt- auf-der-Straße-Morgen hinaus.
Um halb zehn wurde ich zur letzten Untersuchung in der Klinik erwartet. Da ich also drei Stunden Zeit hatte, überlegte ich mir unerhörterweise, ob ich mal bei meinem Sohn und meiner Geschiedenen vorbeischauen sollte. Wahrscheinlich war Katherine Mortenhoe daran schuld, und der Frühling. Als ich in die Telefonzelle zurückkehrte und eines der für mich noch ungewohnten Taxis herbeirief, dachte ich, daß mein Sohn und meine geschiedene Frau vielleicht noch gar nicht gemerkt hatten, daß Frühling war, und daß sie vielleicht etwas von der guten Laune gebrauchen konnten, die Vincent so aufgeheitert hatte.
Die Vorstadt war wie immer – grüne Rasenflächen und nie verblassender Efeu. Ich wäre am liebsten wieder ins Taxi gestiegen und zu einem fürstlichen Frühstück in einen anderen Stadtteil gefahren. Aber sie lockten mich an – das Tor, das ich an einigen Sonntagen zusammengebastelt hatte, unsere Holographantenne, die einmal die erste in unserer Straße gewesen war. Alle hatten jetzt eine, wie ich sah, mit Ausnahme der Richardsons, die eine seltsame Abneigung dagegen hatten, mit dem Strom zu schwimmen. Ihre Antenne war vermutlich unter dem Dach versteckt.
Tracey kam nach dem zweiten Klingeln an die Tür. Ich hatte sie als bessere Schläferin in Erinnerung. Es war erst sechs Uhr. »Du hast dir ja einen Bart wachsen lassen«, sagte sie. Es war unser erstes Treffen seit gut zwei Jahren. Tracey hält es für ein Zeichen von Schwäche, Überraschung zu zeigen.
»Du nicht.«
»Aber ich habe es lange genug versucht.« Sie lehnte sich gegen die Türfüllung. »Willst du was?«
Ich wollte, daß sie sich den Frühling ansah. Hätte ich das gesagt, hätte sie mir wahrscheinlich die Tür vor der Nase zugeknallt. »Ich bin einsam«, sagte ich statt dessen.
»Da wären wir ja zu zweit.«
»Darf ich mir an deinem einfachen Herd die Hände wärmen?«
»Du wirst doch nie gescheit«, sagte sie. Aber sie trat zur Seite und ließ mich hinein. Ich ging in die Küche und sah mich um. Auf den ersten Blick hatte sich nichts verändert. »Wie geht es unserer kleinen Diskussionsbasis?« fragte ich.
»Ich wünschte, du würdest ihn nicht so nennen. Roddie zwei geht es gut.«
Ich mußte noch einen Anlauf nehmen. Reportergeschwätz war kein Aufhänger für so etwas. »Darf ich mich setzen?«
»Du bezahlst ja die
Weitere Kostenlose Bücher