Universum der Doppelgänger
1
Es war ein warmer Herbstnachmittag in Artesia. Lafayette O’Leary, vormals Bewohner eines möblierten Zimmers in Colby Corners, nun, seit er von Prinzessin Adoranne zum Ritter geschlagen worden war, angesehenes Mitglied des Hofadels, ruhte behaglich in einem der brokatbezogenen Sessel seiner Bibliothek neben einem hohen, reich drapierten Fenster, das sich zum Schloßpark öffnete. Er trug purpurne Kniehosen, ein Hemd aus schwerer weißer Seide und Schuhe aus handschuhweichem Ziegenleder mit goldenen Schnallen. Neben dem massiven silbernen Siegelring, der das Wappen mit der Axt und dem Drachen trug, funkelte ein großer Smaragd an seinem Finger. Auf einem kunstvoll eingelegten kleinen Rauchtisch stand ein großes Kristallglas mit einem gekühlten Getränk.
O’Leary verbarg ein Gähnen hinter seiner Hand und legte das Buch weg, in dem er geblättert hatte. Es war ein dicker, ledergebundener Band über die Kunst der Verwirrung, aber leider der spezifischen Informationen ermangelnd. In den drei Jahren, seit die Zentrale eine lästige Wahrscheinlichkeitsbelastung zwischen den Kontinua beseitigt hatte, indem sie ihn von Colby Corners hierher versetzte, war er ohne sichtbaren Erfolg bemüht gewesen, seine kurzlebige Fähigkeit zur Einstellung der physikalischen Energien wiederzugewinnen, wie Professor Dr. Hans Josef Schimmerkopf es in seinem dickleibigen Werk über die Praxis des Mesmerismus ausgedrückt hatte. Das war ein Buch gewesen, dachte Lafayette, das einen wirklich faszinieren konnte. Und er hatte nur einen Teil des ersten Kapitels gelesen. Ein Jammer, daß er es nicht mit nach Artesia genommen hatte. Aber zuletzt war alles ziemlich überstürzt gewesen – und vor die Wahl zwischen Mrs. MacGlints möbliertem Zimmer und einer Palastsuite mit Daphne gestellt, wer hätte da gezögert?
Das waren aufregende Tage gewesen, dachte Lafayette. Während all der Jahre in Colby Corners hatte er gehofft, daß das Leben mehr für ihn bereithalten würde als die Karriere eines technischen Zeichners, der von Ölsardinen und Träumen lebte. Und dann war er auf Professor Schimmerkopfs dicken Wälzer gestoßen. Der Stil war ein wenig altmodisch gewesen, aber die Botschaft war klar: Mit etwas Konzentration konnte man seine Träume – wenigstens scheinbar – Wahrheit werden lassen. Und wenn man sein schäbig möbliertes Zimmer durch Selbsthypnose in ein herrschaftliches Gemach voll duftender Nachtluft und ferner Musik verwandeln konnte – warum sollte man es nicht versuchen?
Und er hatte es versucht – mit verblüffendem Erfolg. Er hatte sich eine malerische alte Straße in einer malerischen alten Stadt vorgestellt, und da war er schon, umgeben von all den Anblicken und Geräuschen und Gerüchen, die zur Vervollkommnung der Illusion nötig waren. Selbst das Bewußtsein, daß alles ein Traum war, hatte das Wunderbare daran nicht verringern können. Und dann, als es schwierig wurde, hatte er eine weitere und nicht minder verblüffende Entdeckung gemacht: wenn es ein Traum war, dann steckte er darin fest. Artesia war wirklich – so wirklich wie Colby Corners. Tatsächlich konnte man argumentieren, daß Colby Corners der Traum sei und daß er in Wahrheit nach Artesia gehöre.
Natürlich hatte es eine Weile gedauert, bis er entdeckt hatte, daß dies seine wirkliche geistige Heimat war. Zuerst hatte es einige unerquickliche Schwierigkeiten gegeben – wie etwa Graf Alains Herausforderung und das anschließende Duell, vor dessen Folgen Daphne ihn mit einem umsichtig aus einem Palastfenster geworfenen Nachttopf gerettet hatte; dann König Gorubles Beharren, daß er sein verwirktes Leben freikaufen müsse, indem er einen Drachen zur Strecke bringe. Und danach eine ganze Serie von Bedrohungen, die erst ein Ende gefunden hatte, nachdem er den zweiköpfigen Riesen Lod getötet hatte. Und schließlich die Entdeckung, daß Lod aus einer anderen Ebene nach Artesia transportiert worden war, zusammen mit seinem zahmen Allosaurier – dem Drachen, mit dem er gemeinsam das Land terrorisiert hatte –, alles auf Befehl des falschen Königs Goruble.
Es war mehr Glück als Klugheit gewesen, daß es Lafayette gelungen war, den Beweis zu führen, daß der Usurpator den früheren König ermordet und den minderjährigen Thronfolger mittels eines Transporteurs, den er bei seiner Desertion als Agent der Zentrale hatte mitgehen lassen, in ein anderes Kontinuum gebracht hatte. Es hatte eine ziemlich unangenehme Konfrontation gegeben, worauf
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