Tod Live
Sonnenlicht rot und blau durch die Fenster hoch über ihrem Bett. Sie erinnerte sich sofort an die Umstände ihrer unruhigen Nacht und stellte beim Herumdrehen erneut fest, daß sie sich nicht vollgemacht hatte. Dann suchte sie nach Rod. Er war nicht zu sehen. Sie nahm es ihm nicht übel, daß er früh aufgebrochen war, daß er ohne sie weitergezogen war – nachdem nun Morgen war, hatte sie nicht einmal etwas dagegen. Sie schaffte es auch allein.
Vikar Pembertons Stimme hatte sie geweckt – ein An- und Abschwellen von undeutlichen Echos zwischen den Säulen und weißen Marmorstatuen. Im Schlafraum rührte sich niemand. Sie überlegte, daß ja Sonntagmorgen war und daß Vikar Pemberton sicher betete. Ihre neugewonnene Freiheit gestattete ihr Neugier, und sie richtete sich im Bett auf, legte Motorradbrille und Südwester an und huschte in ihrem gefütterten Unterrock barfuß durch das Kirchenschiff.
Seiner Stimme folgend, näherte sie sich der Trennwand. Dahinter sah sie ihn, wie er sich über jedes Mitglied einer vierköpfigen Gemeinde beugte und dann wieder aufrichtete – drei kniende Frauen und ein sehr blondes, kleines Mädchen. Sie fragte sich, was er da machte. Hinter ihm brannten dicke weiße Kerzen auf dem Altar. Die Szene hatte etwas Heiliges, und sie wünschte… Sehr schnell am Ende seiner Gemeinde angekommen, wandte sich der Vikar den Kerzen zu und erhob die Stimme; die Worte klangen lauter, doch waren sie mit den Echos von den alten Steinmauern weiter unverständlich. Seine Kluft, dachte sie, bereits snobistisch geworden, ist auch ziemlich fummelig.
Plötzlich merkte sie, daß sie beobachtet wurde. Sie drehte sich um, drückte sich an die Holzsäule der Trennwand. Am anderen Ende des Kirchenschiffes, hinter den Kochstellen und den Reihen der Eßtische, stand Rod. Er kam auf sie zu, wobei er mit den Händen über die Tischplatten fuhr. Sie spürte seinen Blick. War sie so wichtig?
»Ich habe mich mal draußen umgesehen. Der Regen hat aufgehört. Wir können gleich nach dem Frühstück los.«
Seine Stimme war so normal, bot soviel Sicherheit, daß sie hätte weinen mögen. »Schreien Sie nicht so«, sagte sie unwirsch. »Hier beten Leute.«
Sie wandte sich wieder dem Altar zu, und er stellte sich hinter sie und schaute ihr über die Schulter. »Der Gottesdienst scheint gerade vorbei zu sein. Abendmahlsfeier.«
»Weiß ich.« Sie bemerkte den großen Silberkrug, nein, Kelch. »Leib und Blut, die gespendet werden. Das ist doch schön.«
»Oh, wirklich?«
»Sie scheinen überrascht zu sein.«
»Offen gesagt, ja.«
Er sprach weiter, und sie erstarrte und wartete ab.
»Ich will nicht sagen, daß ich es Ihnen übelnehme, Katherine, aber ist das nicht mehr oder weniger das, wovor Sie Angst haben? Daß die Menschen Ihren Leib und Ihr Blut verschlingen?«
»Ich heiße Sarah.«
»Wenn Sie wollen.«
Sie hätte am liebsten die Flucht ergriffen, doch seine Hände lagen fest um ihre Schultern. Außerdem war hier nicht der Ort, sich würdelos zu rangeln. Und eine Flucht war sinnlos. Sie versuchte nachzudenken. Wie war sie erkannt worden? Was mußte sie tun, um frei zu bleiben? Ihn umbringen? Er war auf dem besten Wege, ihr Freund zu werden, so daß ihr das bestimmt leichtfiel. Aber der Gedanke ging zu weit. Vielleicht konnte sie ihn kaufen.
»Was wollen Sie?« fragte sie.
»Nichts.«
»O doch.« Die Menschen vor ihnen in den Bänken drehten sich um. Er hatte recht. Wenn diese Leute erst wußten, wer sie war, würden sie sie mit Haut und Haaren verschlingen. »Natürlich wollen Sie etwas. Sonst hätten Sie nicht so getan, als wüßten Sie nicht Bescheid.«
»Früher oder später hätten Sie sich an letzte Nacht erinnert, als ich Sie ohne Maske sah. Heimlichtuerei zwischen Leuten wie uns ist unklug. Wir müssen ehrlich miteinander sein, wenn…«
»Wenn was?«
Er zögerte. »Wenn ich bei Ihnen bleibe«, sagte er, »kann ich Ihnen vielleicht helfen. Zu zweit ist so etwas einfacher.«
Ich zögerte. Selbst mit ihr konnte ich eine Diskussion über Ehrlichkeit nur bis zu einem gewissen Punkt führen und nicht weiter. »Wenn ich bei Ihnen bleibe«, sagte ich, »kann ich Ihnen vielleicht helfen. Zu zweit ist so etwas einfacher.« Und ich meinte es ehrlich.
Der Gottesdienst war zu Ende. Ich zog Katherine Mortenhoe zur Seite, um die vier Kirchgänger hinauszulassen. Der Vikar ging zu einem der Herde und zündete unter dem riesigen Teetopf das Gas an, entfernte sich dann in Richtung Sakristei. Ich
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