Tod Live
nicht beendet. Sie mußte ihn überzeugen.
Vincents Büro war gedrängt voll. Tracey sah sich die kümmerlich kleine Gruppe an, die vielleicht helfen konnte und die auf ihr Betreiben hin zusammengerufen worden war. Harry, Mrs. Mortenhoes Mann; ihr Kollege von Computabuch, Peter; ihr Arzt, Dr. Mason – und schließlich, auf eine Ahnung hin, Roddies Psychiater, Dr. Klausen. Dr. Mason hielt gerade einen Vortrag, seine Besorgnis schmerzhaft zur Schau stellend, während Vincent an seinem Tisch einen Stapel Zeitungsausschnitte mit Kritiken studierte und seine Nicht-Sorge gleichermaßen unangenehm offenbarte.
»Wenn wir sie finden, kann ich sie retten. Möglicherweise durch Tiefnarkose. Eine Umkehrung des Vorgangs. Es ist möglich. Doktor Klausen wird mir sicher zustimmen, daß wir es versuchen müssen. Aber wir haben nicht viel Zeit. Wir…«
»Was ich nicht verstehe«, sagte Dr. Klausen leise, »ist, wie es überhaupt zu dieser Situation hat kommen können.«
Vincent hob den Blick von seinen Zeitungsausschnitten. »Eine medizinische Frage«, sagte er, »kaum geeignet für eine Diskussion. Natürlich übernimmt Doktor Mason die volle Verantwortung. Wollen wir sagen – ein Irrtum? So etwas gibt’s, sogar im Arztberuf.«
Tracey wollte helfen – nicht Vincent, nein, nicht ihm, der ohnehin nie Hilfe brauchte. »Wir sind nicht hier, um Schuldige zu finden«, sagte sie. »Wir wollen überlegen, wie wir Mrs. Mortenhoe aufspüren können. Und meinen Mann.«
»Und um das zu erreichen«, wiederholte Dr. Mason, »müssen wir alle in unserer Erinnerung nach Bemerkungen Katherines forschen, nach scheinbar nebensächlichen Hinweisen, die sie vielleicht gegeben hat, irgend etwas, das sich von ihrer Person ableiten läßt.«
Ein unbehagliches Schweigen trat ein. Harry bewegte sich mürrisch. »Verrückt«, sagte er, »das ist die einzige Ableitung, die ich mir denken kann. Eben noch sind wir drauf und dran, nach Tasmanien zu fliegen, im nächsten Moment ist sie ausgebüchst, hat sich aufgedonnert wie eine Megäre, denkt überhaupt nicht an mich, verschwendet keinen Gedanken daran, wie ich in dem Laden dastehe…«
»Darf ich daraus schließen, daß sie sonst auf Ihre Gefühle Rücksicht genommen hat?« Dr. Klausen hatte Harry bereits richtig eingeschätzt.
»Natürlich. Wir waren verheiratet. Glücklich verheiratet. Wie hätte…?«
»Dann haben wir es hier also mit einem atypischen Verhalten zu tun, das sicher auf ihrer atypischen Situation basiert. Auch hierbei sollten wir aber eine gewisse Logik feststellen können. Sie scheint eine ausgesprochen logische Person gewesen zu sein. Ich frage mich, lief sie vor etwas davon oder zu etwas hin? Hatte sie tief im Innern Angst, oder freute sie sich auf etwas?«
Harry lachte tatsächlich. »Sich freuen – worauf? Auf die Gosse? Ich sag’s Ihnen, sie war verrückt. Bestimmt. Sie konnte der Wahrheit nicht ins Auge sehen, da ist sie abgeflaut.«
Bis zu diesem Augenblick hatte Peter geschwiegen. Doch jetzt sprang er auf. »Nein. So etwas sieht Ihnen ähnlich. Sie denken ja nur daran, was für einen Narren Katherine aus Ihnen gemacht hat! Was sie angeht, haben Sie nichts begriffen, nicht ein bißchen!«
»Aber Sie?«
»Ja. Ja, ich habe sie verstanden.«
Die beiden Männer starrten einander an. Dann wandte sich Harry an Vincent. »Ich wollte erst gar nicht kommen. Muß ich mich jetzt mit solchen…?«
»Mein lieber Harry. Bitte… Wir dürfen nicht vergessen, daß Peter der letzte war, der Ihre Frau gesehen hat. Durchaus möglich, daß er etwas weiß, was den übrigen nicht bekannt ist.«
Peter setzte sich wieder. »Ich weiß nur… Ich weiß, daß sie absolut nicht verrückt war. Und auch keine Angst hatte. Ja, sie freute sich auf etwas… Auf das, was aus ihr werden würde.«
Harry schnaubte verächtlich durch die Nase. Klausen hatte die Aufzeichnungen durchgelesen, die Vincent ihm gegeben hatte. »Peter – Sie haben sich vier oder fünf Minuten lang mit ihr unterhalten. Hat sie Ihnen dabei nichts gesagt, was Ihnen irgendwie seltsam vorkam? Inkonsequent? Unerwartet?«
Peter rang mit seinen Erinnerungen. »Na ja, was sie sagte, war alles ein bißchen – durcheinander.« Wieder schnaubte Harry durch die Nase, doch Peter sprach weiter. »Aber ich verstand sie sehr gut – sie deutete mir an, daß sie nicht floh, sondern eine Art Ziel hatte… Ich erwiderte, ich würde ihr helfen. Ja, und dann sagte sie etwas Komisches. Sie sagte: ›Ich bin kein Zerstörer.‹ Oder etwas
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