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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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1.
    Ich möchte euch von unserer Reise den Strom hinunter erzählen. Wir sind zu fünft. Meine Schwester Robin ist die älteste von uns, und ihren Namen hat sie vom Rotkehlchen. Als Nächster kam mein Bruder Gull zur Welt, der nach der Möwe, dann mein Bruder Hern, der nach dem Reiher benannt ist. Ich kam als vierte zur Welt und heiße Tanaqui. Meinen Namen habe ich von den duftenden Binsen, die überall am Strom wachsen. Durch meinen Namen steche ich unter meinen Geschwistern hervor, denn mein jüngerer Bruder heißt Mallard nach der Stockente – nur dass wir ihn alle Entchen rufen. Wir sind die Kinder von Closti dem Zugeknöpften und hatten unser ganzes Leben im Dorf Iglingen verbracht, wo ein Bach in den Strom mündet. Darum gibt es dort saftige Weiden und reiche Fischgründe.
    Ich weiß, es klingt nun, als wäre Iglingen ein hübscher Ort, nur ist es leider ganz und gar nicht so. Iglingen ist klein und liegt sehr einsam; die Menschen, die dort leben, sind finster und unfreundlich zu uns, sogar unsere eigene Tante Zara. Sie verehren den Strom als Gott, und wir wissen, dass sie darin irren. Die Unvergänglichen sind die einzigen Götter, die es gibt.
    Letztes Jahr, kurz vor dem Herbsthochwasser, kamen Fremde über die Hügel nach Iglingen. Sie trugen schweres Gepäck auf dem Rücken und sagten, wilde Heiden mit merkwürdigen Gebräuchen seien in unser Land eingefallen und würden alle unsere Landsleute vertreiben. Hern, Entchen und ich kamen herbei und starrten die Fremden neugierig an. Wir hatten gar nicht gewusst, dass uns außer den Feldern rings um Iglingen noch mehr Land gehörte. Gull entgegnete, unser Land sei sehr weit und die Ufer des Stroms nur sein Herzstück; damals klang Gull noch sehr verständig, wenn er redete.
    Besonders interessant waren die Fremden nicht. Sie sahen genauso aus wie die Leute aus unserem Dorf, sie wirkten nur bedrückter. Sie ließen sich von meinem Vater über den Strom setzen, der hier sehr breit ist, dann zogen sie an der alten Mühle am anderen Ufer vorbei und verschwanden. Aber eine Woche später kamen Berittene in unser Dorf: finstere, sehr elegante Männer in scharlachroten Wollmänteln, unter denen sie ein Wams aus Stahl trugen. Diese Männer erklärten nun, sie seien Boten des Königs, und als Beweis führten sie eine lange Stange mit einem goldenen, gekrönten Storch am oberen Ende bei sich. Als mein Vater den Storch erblickte, sagte er, ja, sie kämen in der Tat vom König.
    Diese Männer starrten wir weit länger an als die anderen. Sogar Robin, die damals noch sehr schüchtern war, ließ ihre Backarbeit ruhen und kam mit mehlbestäubten Armen herbei und stellte sich zu uns. Die eleganten Männer, die vorüberritten, grinsten sie alle an, und einer blinzelte und sagte: »Hallo, mein Schätzchen.« Robin errötete, aber sie stolzierte nicht davon, wie sie es sonst tat, wenn die Jungen aus Iglingen ihr solche Frechheiten zuriefen.
    Anscheinend waren die Boten gekommen, um Männer zu rekrutieren, die gegen die Heiden kämpfen sollten. Sie blieben den ganzen Abend, und während dieser Zeit ließen sie alle Männer und Jungen des Dorfes an sich vorbeigehen. Den Wehrtüchtigen sagten sie, sie müssten ihre Angelegenheiten ordnen, denn sie würden zum Kriegsdienst berufen. Anscheinend besaßen die Königsboten das Recht dazu. Anscheinend ist es das Recht des Königs. Ich war sehr erstaunt, denn ich hatte gar nicht gewusst, dass ein König über uns herrscht. Dafür lachten mich alle aus. Hern tat so, als lachte er mit Robin, Gull und meinem Vater über mich, aber später gestand er mir, er habe geglaubt, Könige stammten aus den Reihen der Unvergänglichen und seien gar nicht von dieser Welt. Jedenfalls waren wir uns einig, dass uns ein König als Herrscher allemal lieber sei als Zwitt, der Dorfvorsteher von Iglingen. Zwitt ist ein alter Miesepeter und hat einen ganz harten Zug um den Mund, weil er zu allem und jedem nein sagt.
    Die Boten eröffneten Zwitt jedoch, dass auch er in den Krieg ziehen müsse, und dieses eine Mal konnte selbst er nicht ablehnen. Doch auch Tante Zaras Mann, Falk, bekam gesagt, dass er mitkommen müsse, obwohl Onkel Falk ein alter Mann ist. Mein Vater meinte, daran könne man sehen, dass der König in einer wirklich verzweifelten Lage stecke. Mit diesen Worten fachte er Herns Hoffnungen an. Wenn sie Falk nahmen, dachte er, dann würde sie gewiss auch Jungen seines Alters nehmen. Gull erwiderte nichts darauf, er grinste nur. Gull war an diesem Abend

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