Tod Live
nicht erwartet, daß du das umsonst tust!«
»Ich – ich habe das Geld für uns genommen, Kate. Keine anderen Bedingungen – nur tausend Pfund auf die Hand, damit wir sofort verschwinden konnten.«
Ein Schauder lief über seinen Körper. Er ließ das Bündel ungeöffneter Briefe fallen und wollte sich nicht sofort danach bücken, um sie aufzuheben.
»Ich weiß, das war dumm. Gedankenlos. Un-, unwürdig. Ich habe damals nicht überlegt, wie sehr dich das aufregen würde.«
Sie wandte sich ab. Sie konnte es nicht ertragen, ihn kriechen zu sehen. Daß ihre Gespräche mit Harry so entsetzlich verliefen, war allein ihre Schuld. Sie machte ihn zu etwas, was er nicht zu sein brauchte.
»Ich habe mich nur am Anfang aufgeregt«, sagte sie. »Seither habe ich eingehend über das Angebot deines Vincent nachgedacht. Alles in allem spricht doch wohl einiges dafür.«
»Meinst du das im Ernst?«
Lieber Harry – vielleicht hatte sogar seine Leichtgläubigkeit ihre Grenzen. »Na ja – nein. Nicht wirklich. Aber heute nachmittag haben wir erlebt, was passieren kann. Ich wüßte nicht, daß wir eine andere Möglichkeit haben.«
Ihn anzulügen fiel ihr schwer. Aber er war bestimmt nicht einverstanden mit dem, was sie vorhatte, würde nie die Erleichterung eingestehen, die es bringen würde. Nein, sie würde an vielen ihrer verbleibenden fünfundzwanzig Tage ohne den Luxus oberflächlicher Wahrhaftigkeit auskommen müssen. Wenn sie wirklich leben wollte, würde sie kämpfen müssen. Also stand sie auf und ging zu ihm, bückte sich und half ihm, seine Briefe aufzusammeln… Es waren nun seine Briefe, was auch auf den Umschlägen stehen mochte. Sie sagte: »Morgen früh suche ich Vincent Ferriman auf. Allein, Harry, solange meine Leiderklärung noch läuft.«
Sie ging aus dem Zimmer, zufrieden mit sich und ihrer Entscheidung. Er sah ihr nach und steckte geistesabwesend die restlichen Briefe hinter die Uhr auf dem Kamin und fragte sich, was sie vorhaben mochte. Sie war launisch, aber das war wohl nur natürlich. Als sie später ihre Handtasche nach dem NTV-Brief durchsuchte, hätte er ihr fast von dem Miniatursender erzählt, den er auf Vincents Anregung hin – zu ihrem eigenen Schutz – ins Futter der Tasche geschoben hatte. Aber schließlich hielt er doch den Mund, denn man wußte nie, ob sie sich darüber aufregen würde oder nicht.
Und unten auf der Straße war der Dienst für den Mann in der graugrünen Jacke zu Ende. Er gab seinen winzigen Peilempfänger an die Ablösung weiter und machte sich dankbar auf den Heimweg. Die Ablösung setzte sich in seinen Wagen und richtete sich auf eine lange und ereignislose Nacht ein.
FREITAG
Ich erfuhr von Katherine Mortenhoes Entführung aus dem Fernsehgerät der ›Night Hawk‹-Kaffeebar. Um drei Uhr früh sieht man sich alles an, sogar den Börsenbericht von Tokio, der zwischen die fünfte Wiederholung von Filmen oder Shows geschoben wird. Man sieht zuviel fern, trinkt zuviel Kaffee und ißt zu viele Pfannkuchen. Seltsam, wie hungrig man ist, sogar zu dieser toten, zu grellen, hoffnungslosen Nachtstunde. Wenn ich erst ein paar Jahre lang der Mann mit den Fernsehaugen gewesen war, würde ich vor Verfettung nicht mehr geradeaus sehen können.
Die Mortenhoe-Meldung weckte sogar den Kerl hinter der Bar. Ich fragte ihn, ob ich sein Telefon benützen dürfte, und rief Vincent an, der jedoch klugerweise abgeschaltet hatte, so daß sich nur sein Auftragsdienst meldete. Ich überlegte, ob ich zu ihrer Wohnung fahren sollte, aber da sie nicht mehr da war, schien das sinnlos zu sein. Außerdem war die Hälfte der Medienwelt bereits dort – und die andere Hälfte bestimmt schon unterwegs.
Die Meldungen kamen nun jede Viertelstunde. Sie war von einer Gruppe Universitätsstudenten als Geisel mitgenommen worden. Man verlangte die sofortige Entlassung von 112 Kommilitonen, die zur Zeit auf ein Verfahren wegen Aufruhr warteten, und zwar schon seit neunzehn Monaten. Wie die meisten hatte ich den Fall ganz vergessen. Nachdem die Studenten ihn nun wieder aufgewärmt hatten, brachten sie Katherine hoffentlich zurück. Oder setzten sie irgendwo ab. Trunken von Kaffee und Pfannkuchen überlegte ich, daß sie ja noch zu jung war zum Sterben. Fünfundzwanzig Tage zu jung.
Eine Viertelstunde später hatte die Polizei den Wagen der Studenten gesichtet. Mit einer Verhaftung wurde jeden Augenblick gerechnet. »Das ist schnell«, sagte ich zu dem Barmann.
Er zuckte die Achseln. »Computer«, sagte
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