Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
schneller abschließen zu können. Die Presse
feierte die prächtig erleuchteten weihnachtlichen Shoppingmeilen. Sie redete
etwas schön, was Kennern längst Anlass zur Besorgnis gab, das Symptom eines
Phänomens, das Experten seit Kurzem offen als hässliche Krankheit einstuften,
weitaus ernster zu nehmen als das Virus, das sowieso nur eine Erfindung der
Medien war.
Diese Stadt hatte – wie viele andere auch – Weihnachtsmarkt. Den
konnte man sich als eine Art Pilzinfektion vorstellen, die sich über Jahre hin
langsam und fast unbemerkt ausbreitete. Immer fing es harmlos an, mit einem
überschaubaren, kleinen Markt im Innenhof des Rathauses, einem abgezirkelten
Areal, in dem sich weihnachtlich gestimmte Touristen bei Spritzgebäck und
Marzipankartoffeln tummelten, Tinnef zu Wucherpreisen erstanden und fettige
Bratwürste in sich hineinstopften. Blecherne Weihnachtsmusik quälte ihre
frostroten Ohren, und die Luft war schwer von Punsch und gerösteten Mandeln.
Wurde dieser erste Pilz aber nicht bekämpft, sondern ignoriert oder sogar
bejubelt, breitete er sich aus. Im nächsten Jahr waren es dann schon drei oder
vier Entzündungsherde. Erst wurde der Kiepenkerl mit Fressbuden verrammelt,
dann der Dom, der Ägidienmarkt, und schließlich infizierten sich auch die
äußeren Stadtteile. Wie ein bösartiges Geschwür fraß der Weihnachtsmarkt die
Innenstadt auf, verwandelte sie in eine Vergnügungsmeile für Alkoholiker mit
roten Bommelmützen auf dem Kopf, die in unzähligen Bussen aus dem Umland und
den benachbarten Niederlanden herangekarrt wurden und sich so lange mit
Glühwein abfüllten, bis sie ums Verrecken nicht mehr sagen konnten, was das Wort
Weihnachten eigentlich bedeutete.
Weihnachtsmarkt war tückisch und wurde wie viele ernste Krankheiten
unterschätzt und oft verharmlost. Das Endstadium war schrecklich: eine mit
Tannenzweigen geschmückte Geisterstadt, sinnlos flackernde Lichterketten überall
und marodierende Trupps blöde grinsender, sturzbesoffener Weihnachtsmänner, die
vergewaltigend und plündernd durch die Straßen torkelten.
»Franz Schubert mein Name. Setzen Sie sich, Frings. Ihre
Schokolade ist schon unterwegs.« Mein künftiger Klient entsprach in etwa dem
Bild, das ich mir am Telefon von ihm gemacht hatte: ein kompakter Mittdreißiger
mit Ansatz zur Glatze, sonnenbankgebräuntem Teint und einem weißen, leicht
geöffneten Rüschenhemd, unter dem sich vereinzelte Brusthaare und ein goldenes
Kettchen erahnen ließen. Er grinste wie ein Honigkuchenpferd und grüßte mit
einem gnädigen Nicken irgendeinen Bekannten an einem der anderen Tische.
Ich setzte mich. »Bevor ich den Auftrag annehme«, erklärte ich,
»muss ich wissen, worum es sich überhaupt handelt.«
Schubert kicherte. »Keine Sorge, Frings, die Schokolade geht auf
mich, egal, ob wir uns einig werden oder nicht.« Er lehnte sich zurück, griff
in die Innentasche seiner espressofarbenen Seidenjacke und holte Postkarten
heraus. Er warf sie auf den Tisch. »Darum geht es.«
Ich sah mir die Karten an. Sie zeigten den Dom im tiefen Schnee,
Schlittschuhläufer auf dem vereisten Aasee und die herzerwärmende Ansicht eines
riesigen, verschneiten Tannenbaums vor der Lambertikirche. »Weihnachtskarten.«
»Na los, drehen Sie die Dinger um«, verlangte mein Gegenüber.
Mit Bedauern muss ich feststellen, dass Sie weder
einsichtig sind noch die geringste Reue zeigen , stand auf der Rückseite
mit einer verschnörkelten Handschrift geschrieben. Sie sind
ein Heuchler und bedürfen deshalb dringend eines barmherzigen Wesens, welches
Sie auf den richtigen Weg zurückführt.
Frohe Weihnachten!
Der Geist der vergangenen Weihnacht
PS : Erwarten
Sie schon bald den Geist der blutigen Weihnacht. Gott sei Ihrer Seele gnädig.
Ich gab Schubert die Karte zurück. »Lassen Sie mich raten. Sie
vermuten, dass es sich bei dem Absender nicht um einen echten Geist handelt,
sind sich aber nicht sicher. Das soll ich für Sie herausfinden.«
»Sehr witzig. Der Kerl hat eine Macke. Er hat mich auch angerufen
und gleich wieder aufgelegt. Ich weiß nicht, was er von mir will.«
»Aber das steht doch hier: Er möchte gern, dass Sie einsichtig sind
oder Reue zeigen. Reue weswegen?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ist doch auch völlig egal.«
Schubert grüßte wieder jemanden. Allmählich kam mir der Verdacht, dass das nur
ein Tick von ihm war oder eine Art, sich wichtig zu machen. »In meiner Branche
kann und will ich mir so einen Verrückten
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