Todes Kuss
drückte er mir sein Beileid zum Tod meines Mannes aus und berichtete, wie dankbar man Lord Ashton sei, weil er dem Museum so viele Kunstwerke gestiftet hätte. „Sicher möchten Sie diese Ausstellungsstücke zuerst sehen, Mylady?“
Ich konnte dazu nur nicken. Es fiel mir nicht leicht, mir einzugestehen, dass ich Philip noch weniger gekannt hatte, als mir bis dahin bewusst gewesen war.
Dann hatten wir die griechische Abteilung erreicht, und Mr Murray begann mit seinen Erläuterungen. Es gab mehrere sehr schöne Vasen, die Philip dem Museum offenbar als Spende überlassen hatte. Eine davon gefiel mir besonders gut. Fasziniert betrachtete ich die Darstellung eines jungen Mannes, der mit einem Apfel vor drei hübschen Frauen stand.
„Dies“, sagte der Kurator, „ist ein sogenannter Kelchkrater, ein Gefäß zum Mischen von Wein und Wasser. Beachten Sie besonders die Henkel. Erinnern sie nicht an einen Blütenkelch? Und diese wunderbare rotfigurige Malerei! Meiner Meinung nach war dies Lord Ashtons Lieblingsstück. Es kostete ihn große Überwindung, sich von der Vase zu trennen. Doch er vertrat die Überzeugung, dass ein solches Kunstwerk nicht in eine Privatsammlung gehöre, sondern an einen Ort, an dem jeder es bewundern könne.“
Ich betrachtete die Malerei eingehend und rief schließlich: „Der Künstler hat wirklich sehr sorgfältig gearbeitet. All diese erstaunlichen Details! Sehen Sie sich nur das Profil des Mannes an! Man kann sogar die Wimpern erkennen.“
„Ja, die rotfigurige Vasenmalerei eignet sich besser für solche Feinheiten als die schwarzfigurige. Das hat etwas mit der Art und dem Zeitpunkt der Glasur zu tun. Natürlich ist auch das Können des Malers von großer Bedeutung. Dieser Künstler gilt als einer der besten.“
„Wie heißt er?“
„Das weiß niemand. Aber an seiner Technik ist er eindeutig zu erkennen.“
„Hm … Das Bild erinnert mich ein wenig an den Parthenon-Fries.“
„Gut beobachtet, Lady Ashton!“
Ich lächelte. „Befinden sich noch andere Werke dieses Künstlers im Besitz des Museums?“
„Allerdings. Sowohl rotgrundige als auch schwarzgrundige, und sogar ein paar Lekythen. Das sind weißgrundige, farbig bemalte Gefäße, die zum Aufbewahren von Olivenöl dienten. Wenn ich Ihnen einige davon zeigen darf?“
„Gern. Aber zunächst wüsste ich lieber noch etwas mehr über diese Vase. Wen stellen die Figuren dar?“
„Die Göttinnen Athene, Hera und Aphrodite. Sie haben an einer Hochzeitsfeier teilgenommen. Leider ist diese von Eris, der Göttin der Zwietracht, gestört worden. Eris brachte nämlich einen goldenen Apfel mit, in den die Worte ‚Te Kalliste‘ eingraviert waren, das heißt ‚Für die Schönste‘. Jede der anderen drei Göttinnen beanspruchte diesen Titel sogleich für sich. Und Zeus beauftragte den armen Paris, einen jungen Hirten, damit, ein Urteil zu fällen. Paris überreichte den Apfel an Aphrodite, denn sie versprach ihm, dafür zu sorgen, dass die für ihre Schönheit berühmte Helena seine Gemahlin würde.“
„Das dürfte Hera und Athene ziemlich verärgert haben.“
„Allerdings. Aber es kommt noch schlimmer. Helena war nämlich bereits mit Menelaos, dem König von Sparta, verheiratet. Doch mit Aphrodites Hilfe überzeugte Paris sie davon, ihren Ehemann zu verlassen und ihm nach Troja zu folgen. Deshalb kam es zum Trojanischen Krieg.“
Murray sagte das, als müsste ich genau wissen, wovon er sprach. Aber bisher hatte die griechische Mythologie mich kaum interessiert. Also nickte ich nur und bat den Kurator, noch einmal zu wiederholen, was auf dem Apfel stand.
„Te Kalliste“, meinte er, „für die Schönste.“
So erfuhr ich, dass Philip, der mich Kallista genannt hatte, mich wohl für eine Schönheit gehalten hatte.
2. März 1887, Ostafrika
Bin außer mir vor Zorn.
Fitzroy, dieser Dummkopf, verließ das Lager schon vor dem Frühstück und ließ sich von Lusala, einem der Einheimischen, zu einem Nashorn führen.
Er muss ihn tags zuvor beauftragt haben, das Tier mit einem Köder anzulocken. Fitzroy schlich sich an seine Beute heran. Doch als er schießen wollte, stolperte er, wodurch das Tier natürlich gewarnt wurde. Statt es entkommen zu lassen, schoss Fitzroy, ohne richtig zu zielen. So verwundete er das arme Rhinozeros nur.
Er hat wirklich keine Ahnung davon, was es bedeutet, auf Großwildjagd zu gehen! Man ist den Tieren Respekt schuldig und eine faire Behandlung! Es widerspricht jeder Moral, Köder auszulegen.
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