Todesakt: Thriller (German Edition)
Antwort bereits kannte. Was sollte dieses Theater? Warum beharrte er auf dieses Zeitlupentempo?
»Die Zielperson war Nummer zwei, nicht Bosco«, entgegnete sie.
»Sind Sie sicher?«
Lena nickte.
»Der Täter kannte ihn. Die Sache riecht nach einem Racheakt. Einem Freund pustet man nicht die Augen weg, und man vergeudet seine Zeit nicht damit, einen Toten zu erschießen, den man nicht kennt, sondern ergreift die Flucht.«
Ramsey musterte sie forschend. Sein Blick fühlte sich an wie Nadelstiche.
»Wie lange sind Sie schon bei der Mordkommission, Gamble?«
»Lange genug, um zu sehen, dass wir es hier nicht mit einem Raubüberfall zu tun haben und dass der Täter kein Profi war. Es ging um etwas Persönliches.«
»Ich teile diese Auffassung«, erwiderte er. »Allerdings weiß ich im Gegensatz zu Ihnen, wer der Tote ist. Erklären Sie mir, warum Sie von einem persönlichen Motiv ausgehen, Detective. Ich will es von Ihnen hören.«
»Wenn es um Raub ginge, wäre das Koks nicht mehr da. Und wenn der Täter ein Profi wäre, würden die Brieftaschen noch in den Hosentaschen der Opfer stecken. Kein Profi hätte das Bargeld mitgenommen. Höchstens eine von Boscos Kreditkarten, weil allgemein bekannt ist, dass er Geld hatte wie Heu. Eine Karte mit einem ordentlichen Kreditlimit, deren Fehlen in den ersten ein oder zwei Tagen niemand bemerkt. Länger würde er nicht brauchen, um das Konto leer zu räumen.«
Während Ramsey ihre Worte auf sich wirken ließ, wechselte Lena einen Blick mit Rhodes und öffnete den Asservatenbeutel. Sie hatte die Warterei ebenso satt wie das Frage-und-Antwort-Spiel an einem Tatort, wo alles auf der Stelle trat. Lena legte die lederne Brieftasche beiseite und griff nach der anderen aus Nylon und mit Klettverschluss. Sie nahm den Führerschein heraus und hielt ihn ans Licht.
Das Opfer war fünfundzwanzig Jahre alt. Als sie den Namen las, begannen ihre Finger wieder zu zittern. Endlich verstand sie, warum der Polizeichef so verstört war. Warum Barrera ihr den ganzen Abend nicht hatte in die Augen schauen können. Warum es keine Rolle spielte, dass Escabar die Gäste nach Hause geschickt hatte, bevor er die Polizei rief. Und warum es nicht einmal von Bedeutung war, dass die Seele des Opfers für immer zwischen den Winden umherirrte.
Der Polizeichef hatte recht. Den Jungen, dem das Licht ausgepustet worden war, als Arschloch und Wichser zu bezeichnen wäre noch beschönigend gewesen. Und er würde tot tatsächlich noch mehr Ärger machen als zu Lebzeiten.
Als sie jemanden hinter sich spürte, wurde ihr klar, dass Ramsey ihr über die Schulter spähte. Er starrte auf den Führerschein, ohne ihn zu sehen, und wirkte völlig in seine ganz persönliche Verzweiflung versunken.
»Jacob Gant«, flüsterte er mit angespannter Stimme. »Jetzt wissen Sie, warum wir Sie brauchen, Gamble. Jetzt wissen Sie, warum die Kacke am Dampfen ist.«
4
Zahltag.
Ein Killer mit einer Überdosis Wut im Bauch. Daran gab es nichts zu rütteln.
Lena verließ Boscos Büro.
Jacob Gant hatte seine sechzehnjährige Nachbarstochter Lily Hight vergewaltigt und ermordet und war dennoch vor sechs Wochen als freier Mann aus einem Gerichtssaal in L. A. spaziert. Und heute Nacht hatte sich das Glücksrad des Lebens gedreht. Yin und Yang waren einander endlich begegnet. Der Mann war tot.
Gant war bei seinem Verbrechen ungewöhnlich brutal vorgegangen. Er hatte das Mädchen in seinem Zuhause überfallen, ihm nach der Vergewaltigung einen dreißig Zentimeter langen Schraubenzieher in den Rücken gerammt und seinem Opfer beim Verbluten zugeschaut.
Der Freispruch hatte den ganzen Gerichtssaal entsetzt innehalten lassen. Beinahe zehn Minuten lang hatte Totenstille geherrscht, nur unterbrochen von dem leisen Schluchzen von Tim Hight, Lilys Vater. Lena erinnerte sich gut an die Szene und hatte Hights Weinen noch im Ohr. Wie alle anderen hatte sie den Prozess vom Schreibtisch aus im Fernsehen verfolgt. Die Nachricht von dem Skandalurteil hatte sich verbreitet wie eine ansteckende Krankheit. Schon im nächsten Moment wusste die gesamte Stadt, was im Gerichtssaal geschehen war, und allen wurde beim bloßen Gedanken übel.
Allerdings beschränkte sich der Radius nicht auf Los Angeles. Das Verfahren gegen Jacob Gant wegen Mord an Lily Hight hatte die Gemüter bewegt, und die öffentliche Empörung war über die Ufer getreten wie ein Hochwasser führender Fluss, wo immer Satelliten, Computerserver und Smartphones zum Einsatz kamen. Die
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