Todesangst
sterblichen Hülle von Cedric Harring annahmen.
Auf dem Weg zum Aufnahmeraum beschäftigte Dr. Jason Howard der Gedanke, daß Cedric Harring nun schon der dritte Patient war, der innerhalb weniger Wochen gestorben war, nachdem er ihm nach einer gründlichen Gesamtuntersuchung noch einen guten Gesundheitszustand bescheinigt hatte. Der erste hatte ebenfalls einen Herzanfall erlitten, der andere einen schweren Schlaganfall. »Vielleicht muß ich doch meinen Beruf wechseln«, scherzte Dr. Howard gezwungen. »Auch bei einigen meiner hier stationär behandelten Patienten lief es nicht sonderlich.«
»Na ja, das war halt Pech«, sagte Dr. Barnes und klopfte Jason Howard beruhigend auf die Schulter. »Jeder von uns hat schließlich mal schlechte Zeiten. Das wird sich schon wieder ändern.«
»Hoffentlich«, meinte Dr. Howard etwas lahm.
Philip Barnes verabschiedete sich, um in den OP zurückzukehren.
Dr. Jason Howard fand einen leeren Sessel und ließ sich schwer hineinfallen. Es war ihm bewußt, daß er sich jetzt darauf vorbereiten mußte, Cedric Harrings Frau gegenüberzutreten, die sicher in wenigen Minuten hier im Krankenhaus eintreffen würde. Er fühlte sich ausgelaugt. »Dabei sollte man doch meinen, daß ich inzwischen etwas vertrauter mit dem Tod geworden bin«, sagte er laut.
»Gerade, daß das nicht so ist, beweist doch, daß Sie ein guter Arzt sind«, meinte Schwester Judith, die auf die Formulare wartete, deren Ausfüllung immer mit einem Todesfall verbunden war.
Dr. Howard tat das Kompliment gut, aber er wußte auch, daß sein Verhältnis zum Tod weit über das Berufliche hinausging. Vor zwei Jahren nämlich hatte ihm der Tod alles geraubt, was ihm lieb und teuer gewesen war. Als ob es gestern gewesen sei, erinnerte er sich an jenen Telefonanruf kurz nach 24 Uhr in einer dunklen Novembernacht. Er war eingeschlafen, während er sich in seinem Arbeitszimmer noch durch ein paar Fachzeitschriften quälte. Er nahm an, daß es seine Frau Danielle sei, die ihn aus dem Kinderkrankenhaus anriefe, weil es später würde. Sie war Kinderärztin und an jenem Abend wegen eines Notfalls nochmals in die Klinik gerufen worden. Aber es war die Verkehrspolizei gewesen. Sie hatten ihm mitgeteilt, daß ein aus Albany kommender Sattelschlepper mit einer Aluminiumladung bei einem mißglückten Überholmanöver die Mittelleitplanke durchbrochen und den Wagen seiner Frau frontal gerammt hatte. Sie hatte keinerlei Chance gehabt.
Noch immer hatte Dr. Howard die Stimme des Polizeibeamten im Ohr. Zuerst hatten bei ihm Schock und Unglaube geherrscht und dann Wut. Schließlich aber hatte er sich selbst entsetzlich schuldig gefühlt. Wenn er nur, wie er das gelegentlich tat, Danielle begleitet und dann in der Bibliothek des Krankenhauses gelesen hätte. Oder wenn er wenigstens darauf bestanden hätte, daß sie im Krankenhaus bliebe, um dort zu übernachten.
Ein paar Monate später hatte er das Haus verkauft, das ihn zu sehr an Danielle erinnerte, und auch die Privatpraxis aufgegeben, die er dort gemeinsam mit ihr betrieben hatte. Damals hatte er sich auf Empfehlung seines Freundes Patrick Quillan, eines Psychiaters, dem Ärzteteam der GHP-Klinik angeschlossen. Aber immer noch waren Schmerz und Zorn in seinem Inneren.
»Dr. Howard, bitte entschuldigen Sie!«
Er blickte auf und sah über sich das freundliche Gesicht der Abteilungssekretärin, Kay Ramn.
»Mrs. Harring ist im Wartezimmer. Ich sagte ihr, daß Sie kommen würden, um mit ihr zu reden.«
»O Gott, ja«, antwortete Dr. Howard und rieb sich die Augen. Das Gespräch mit den Angehörigen nach dem Tod eines Patienten fiel jedem Arzt schwer, aber seit Danielles Tod empfand er den Schmerz dieser Menschen wie seinen eigenen.
Der Abteilung für Herzkrankheiten gegenüber lag ein kleiner Raum mit veralteten Zeitschriften, kunststoffbezogenen Sesseln und Plastikpflanzen. Mrs. Harring starrte dort aus dem Fenster, das nach Norden auf den Fenway Park und den Charles River hinausging. Sie war eine zierliche Frau mit natürlich ergrautem Haar. Als Jason Howard eintrat, blickte sie ihm mit rotgeränderten, angsterfüllten Augen entgegen.
»Ich bin Dr. Howard«, stellte er sich vor und bat sie mit einer Geste, Platz zu nehmen. Sie tat das, aber nur auf der äußersten Kante eines Sessels.
»Es steht also schlecht…« begann sie; doch dann versagte ihr die Stimme.
»Es tut mir sehr leid«, sagte Dr. Howard, »aber ich habe eine schlechte Nachricht für Sie: Ihr Gatte ist soeben
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