Todesbraut
besserwisserisch. »Sie scheinen sich als LK A-Frau nicht allzu gut mit den wundersamen deutschen Gesetzen auszukennen.«
Da hatte er recht, deswegen ließ Wencke seinen Spott unkommentiert.
»Shirin allein hätte sich verstecken können. Aber nur ohne die Kinder.« Er stellte den Motor ab und ließ seinen Sicherheitsgurt zurückschnallen. »Moah Talabani war in meinen Augen ein sturer Mann, der seine Frau um ihre Freiheit gebracht hat. Doch er ist nach wie vor der Vater ihrer Kinder, und Roza und Azad hat er stets auf Händen getragen, besonders den Sohn. Ergo hat er nach deutschem Scheidungsgesetz das Sorgerecht, genau wie die Mutter. Ergo ist sie verpflichtet, ihmden Aufenthaltsort der beiden zu nennen und das Umgangsrecht zu gewähren. Ergo kann Shirin nirgendwo unerkannt leben, es sei denn, sie will gegen dieses Gesetz verstoßen.«
Menschen, die »ergo« sagten, hatte Wencke noch nie leiden können. Sie war froh, endlich aussteigen zu dürfen. Wencke würde nach dem Gespräch auf weitere Chauffeurdienste verzichten und lieber mit dem Regionalzug nach Hause fahren, so viel stand fest.
Wie es aussah, wohnten Shirin Talabani und ihre Kinder zwar nicht schön, dafür aber zentral. Direkt vor dem Haus schoben sich – Stoßstange an Stoßstange – Autos, Lkws und Busse in die Enge der Innenstadt, nur wenige Schritte weiter lag die typische Fußgängerzone einer freundlichen Kleinstadt in der Mittagssonne.
Wasmuth schloss den Wagen ab. »Auf gut Deutsch: Shirin hatte keine Chance. Und wenn Sie mich fragen, die hat sie auch heute nicht.«
»Fühlt sie sich noch immer bedroht?«
»Ihr Bruder macht ja keinen Hehl daraus, dass er vollenden will, was vor drei Jahren nicht geklappt hat.«
Stimmt, so etwas in der Art hatte Armanc Mêrdîn gestern erzählt. Irgendwie hatte dieser Satz mehr auswendig gelernt geklungen, als nach einem dringenden Bedürfnis. Trotzdem: eine Drohung war eine Drohung, egal für was man sie rein intuitiv hielt, so viel hatte Wencke sowohl als Ermittlerin als auch als Fallanalytikerin bereits gelernt. »Armanc Mêrdîn hat einen Bewährungshelfer und darf sich, soweit ich informiert bin, seiner großen Schwester nicht auf hundert Meter nähern.«
»Und Sie glauben, dass ein solches Gebot einen Ehrenmörder aufhalten kann?«
Sie waren durch eine schmale Gasse auf einen Hinterhof gelangt. Schäbig gelbe Steine säumten das Karree, auf dem außerein paar Löwenzahnflecken kein bisschen Grün zu sehen war. Eine feuchte Treppe führte in eine Souterrainwohnung. Die Tür schmückte ein kleiner, ehemals bunter Kranz aus Filz, zwei Fliegenpilze und ein Zwerg hingen bereits auf Halbmast. Die Klingel war unbeschriftet.
Wasmuth musste Wenckes Entsetzen bemerkt haben. »Das ist nicht gerade das Villenviertel von Wunstorf.«
Nein, das war es nicht. Kellerwohnungen waren ohnehin schon eine Zumutung. Aber wenn die dann auch noch feucht waren und an stark befahrenen Straßen lagen … Die armen Kinder, die arme Frau, die ungerechte Welt.
»Aber mehr ist nun mal nicht drin. Shirin arbeitet jeden Abend in einem Restaurant, manchmal geht sie vormittags noch putzen, aber es reicht trotzdem nicht.«
»Was ist mit Unterhalt?«
Er klingelte. »Glauben Sie allen Ernstes, ein Mann, der sich von der Exfrau in seiner Ehre gekränkt sieht, zahlt regelmäßigen Unterhalt?«
»Aber das Gesetz …«
Ein vernichtender Blick ließ Wencke verstummen. »Schön und gut, Sie sind ja quasi Gesetzeshüter, ergo müssen Sie auch an unsere Justiz glauben. Aber wenn Sie mich fragen, diese Paragrafen sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Das einzige Gericht, an dessen Gerechtigkeit ich glaube, ist das Jüngste.« Er klingelte erneut, dann schaute er auf seine Armbanduhr. »Seltsam. Wir haben exakt zwölf Uhr. Shirin ist normalerweise die Pünktlichkeit in Person.«
Doch auch nach dem dritten Klingeln blieb es still hinter der Milchglasscheibe. Wasmuth holte sein Handy heraus und tippte darauf ein, Sekunden später hörte man eine türkische Melodie aus dem Haus ertönen. Eine halbe Minute lang sang der digitale Muezzin, dann fluchte Wasmuth. »Die Mailbox? Sie hat ihr Handy immer an, wenn sie unterwegs ist. Dastimmt doch was nicht.« Fast wütend klopfte er gegen die Wohnungstür. »Shirin geht eigentlich nie ohne ihr Mobiltelefon aus dem Haus. Schon wegen der Kinder, wissen Sie? Roza und Azad sollen ihre Mutter immer erreichen können, falls mal was ist.« Er klopfte noch einmal, legte die Hände
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