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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Hühnergrippe. Man hatte ihr antivirale Neuraminidase-Hemmer gegeben, und falls die Erreger dagegen nicht resistent waren, hatte sie das Schlimmste bereits überstanden. Ihr Fieber war mit 39,2 immer noch ziemlich hoch, aber sie halluzinierte nicht mehr.
    Die Frage des Arztes war routinemäßig: »Hatten Sie engen Kontakt mit Vögeln oder Hühnern?«
    Trotz seines Atemschutzes verstand sie ihn deutlich. Ihre unmissverständliche, aber schockierende Antwort lautete: »Nein.«
    Rebecca Grünpohl registrierte den Blick des Doktors. Er war jung, wirkte wie eine Frohnatur, die sich so leicht nicht aus der Ruhe bringen ließ, und hatte sympathische Lachfältchen um die Augen. Er sah sie an, als hätte sie ihm von der Landung Außerirdischer auf dem Wochenmarkt erzählt, aber bemühte sich, die Fassung zu bewahren. Gern hätte sie seinen Mund gesehen.
    Dr. Maiwald hakte nach: »Waren Sie vielleicht in einer Wohnung zu Gast, in der Vögel in Käfigen gehalten wurden?«
    Rebecca schüttelte stumm den Kopf.
    Maiwald bemühte sich um ein verbindliches Lächeln, es gelang ihm aber nicht wirklich. »Bestimmt haben Sie einen Zoo besucht oder … vielleicht waren Sie spazieren, haben einen toten Vogel am Wegrand liegen sehen und ihn …«
    »Ganz sicher nicht, Herr Doktor. Ich bin allergisch gegen jegliche Art von Federn. Als Kind bekam ich Asthmaanfälle, wenn ich dem Bett meiner Eltern zu nahe kam, weil die Daunenkopfkissen hatten. Ich durfte nicht einmal indianischen Kopfschmuck tragen. Einmal hat mir eine Freundin einen Traumfänger geschenkt. Ich habe ihn mir übers Bett gehängt. Ich wäre in der Nacht fast erstickt.«
    »Wissen Sie«, fragte er, »was das bedeutet?«
    Sie hustete: »Ja. Ich habe keine Hühnergrippe, sondern einfach nur eine schwere Erkältung und einen Schwächeanfall – kein Wunder nach dem langen Flug, und dann das Konzert … Ich habe mich einfach übernommen.«
    »Schön wäre es«, erwiderte er. »Aber ich fürchte, die Wahrheit ist unendlich viel schlimmer.«
    »Nämlich?«
    Er sah sie nicht an, als er es sagte: »Es ist die Hühnergrippe und sie überträgt sich von Mensch zu Mensch. Das, was wir alle seit Jahren befürchtet haben, ist eingetreten.«
    Plötzlich schien er Hoffnung zu schöpfen. »Haben Sie in New York mit irgendjemandem … also, haben Sie Körperflüssigkeiten ausgetauscht?«
    Trotz ihrer Krankheit musste Rebecca Grünpohl lachen. Daraus wurde eine Hustenattacke, die sie erst einmal an einer Antwort hinderte.
    »Ich meine … ich muss das fragen … Hatten Sie ungeschützten Geschlechtsverkehr oder haben Sie mit jemandem Zungenküsse ausgetauscht?«
    Sie bekam ihre Atmung wieder unter Kontrolle.
    »Ich weiß, was Sie meinen, Doc. Nein, ich hatte keinen Geschlechtsverkehr. Nicht ungeschützt und nicht geschützt. Ich habe auch keine Küsse ausgetauscht. Zungenküsse schon gar nicht. Ich war allein in New York, ohne meinen Freund. Ich habe das MoMA besichtigt und das Guggenheim Museum. Ich studiere Kunstgeschichte und …«
    Der Arzt stöhnte und nahm deutlich mehr Abstand zu ihr ein. »Das bedeutet, wir haben es mit einer äußerst aggressiven Verbreitungsweise zu tun. Wie bei einer ganz normalen Grippe, durch die Luft, durch Händeschütteln oder …«
    Ohne sich zu verabschieden, verließ er den Raum und Rebecca Grünpohl kam sich irgendwie schuldig vor, als hätte sie soeben absichtlich und aus sehr egoistischen Gründen die Apokalypse losgetreten.

 
    5 »Der Schollmayer«, Moderator von Hit Radio Antenne, meldete sich mit der Schreckensnachricht. Er verlas eine Presseerklärung des Gesundheitsamtes. Die Teilnehmer vom Emder Open-Air-Festival sollten sich bei ersten Anzeichen einer Grippe isolieren und einen Arzt verständigen; es sei nicht auszuschließen, dass das H5O1-Virus sich inzwischen von Mensch zu Mensch übertrage. Eine Teilnehmerin des Festivals sei im Susemihl-Krankenhaus eingeliefert worden. Passagiere des Lufthansa-Fluges LH 408, New York, wurden aufgefordert, sich umgehend an das nächste Krankenhaus zu wenden.
    Der sonst stets zu Scherzen aufgelegte Schollmayer hatte eine merkwürdig belegte Stimme beim Sprechen. Entweder war ihm die Tragweite der Meldung schon bewusst oder er brauchte dringend einen Schluck Wasser und ein Halsbonbon.

 
    6 Dr. Maiwald warf vorbeugend Tamiflu ein. Er ahnte, dass er sich bereits mitten in einer heraufziehenden Katastrophe befand. Er hatte Geburtstagskuchen dabei, von seiner Mutter selbst gebackenen. Sie vergaß an keinem seiner

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