Todesengel (Gesamtausgabe)
kneife nicht, gnädige Frau! Ein Schiffskapitän geht schließlich auch als Letzter von Bord!” Schieferbein schüttelte den Kopf, bat den Hagestolz, voranzugehen und nach etwa dreißig Metern erreichte die Crew die Suite des Toten, vor der ein junger Schutzpolizist Wache schob.
„Und?“, fragte die Kriminalbeamtin ihn, doch der blonde Mann mit dem gepflegten Schnurrbart zuckte nur mit den Schultern und öffnete den Ankömmlingen die Tür, froh darüber, mit der Leiche nicht mehr allein zu sein.
„Sie können sich jetzt die Beine vertreten!“, meinte Segler ohne Absprache mit seiner Vorgesetzten und der Wachtmeister nahm die Offerte dankbar an, war schon Sekunden später aus dem Blickfeld des Teams verschwunden und Schieferbein, die sich über den Alleingang ihres Assistenten sichtlich ärgerte, blieb nichts anderes übrig, als den Hotelchef zu bitten, fürs erste die Stelle des Schutzpolizisten einzunehmen.
Dann standen die Kriminalbeamten vor dem Lotterbett, auf dem der Tote in einer riesigen Blutlache lag. Nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte und nicht sehr appetitlich anzusehen. Seine Augen waren aus den Höhlen gequollen, das Gesicht zerkratzt, der Leib mit blauen Flecken übersät und das blutverschmierte Glied steckte samt Hodensack in seinem Mund. Gerda Schieferbeins Frühstück kroch langsam die Speiseröhre hoch und weil es in der Suite auch noch bestialisch stank, stürzte die Hauptkommissarin schließlich ins Badezimmer, spie ihren Mageninhalt in hohem Bogen aus und kam dann mit einem müden Lächeln zu den Kollegen zurück, die wie sie mit der Übelkeit zu kämpfen hatten.
„Was meint Ihr?“, fragte sie die jungen Beamten, bekam aber keine Antwort und so begann sie, nach einer kleinen Atempause, laut zu denken: „Wenn ich den Hotelchef am Telefon richtig verstanden habe, handelt es sich beim Toten um Otto Berger aus Berlin, von Beruf Kaufmann und 52 Jahre alt, der seit drei Tagen Gast des Hotels war, als Geschäftsmann in unserer Stadt weilte und jetzt eigentlich im Flugzeug sitzen müsste, statt uns zu beschäftigen! Ich frage mich, was passiert ist, nachdem der Mann gestern Abend, eine unbekannte Schöne im Arm, den Zimmerschlüssel in Empfang genommen hat! Und ich bin brennend daran interessiert, herauszufinden, um wen es sich bei dieser Blondine gehandelt hat! Ist sie eine Prostituierte? Ein Luxus-Callgirl? Und ist sie, wenn sie den Mord begangen hat, eine Einzeltäterin oder Mitglied einer Bande, die es sich zum Ziel gesetzt hat, zahlungskräftige Freier auszurauben?“
„Das kann ich mir nicht vorstellen“, warf Albers ein, „so, wie der Kerl zugerichtet ist, hat er es auf die harte Tour gewollt und das Ganze ist außer Kontrolle geraten! Vielleicht hat der Fettwanst nur das Losungswort vergessen, mit dem er die Quälerei hätte stoppen können...“
Die Hauptkommissarin widersprach vehement: „Wenn ein Tatort so hinterlassen wird, sollen wir bestimmt auf eine falsche Fährte gelockt werden! Mir ist aber kein Fall bekannt, in dem ein Masochist so misshandelt wurde, zumindest dann nicht, wenn eine Frau mit im Spiel war! Und nach allem, was wir wissen, gehe ich davon aus, dass die Blondine, mit der Berger das Hotel betrat, das letzte menschliche Wesen war, das der Tote vor seinem Ableben zu Gesicht bekommen hat!“
„Und was soll die Schmiererei an der Wand?“, fragte Segler, der sich bisher zurückgehalten hatte und Gerda Schieferbein sah sich den mit roter Farbe auf die Tapete gemalten Schriftzug aus der Nähe an, berührte aber nichts, um keine Spuren zu verwischen und antwortete ihrem Assistenten dann mit belegter Stimme:
„Vielleicht ist es Ölfarbe, vielleicht aber auch Blut! Und die Worte Rache für M.! sind so aussagekräftig, dass jeder Volksschüler aus ihnen seine Schlüsse ziehen könnte! Hier liegt ein Schwein, das es verdient hat, umgebracht zu werden! Aber wie ich schon sagte: Hier hat sich jemand große Mühe gegeben, uns mehrere denkbare Tatmotive aufzutischen, in der Hoffnung, dass wir nicht auf die Idee kommen, an einen Raubmord zu denken und im kriminellen Milieu herumzustöbern! Wahrscheinlich hat die Täterin ihrem Opfer sogar ein wenig Bargeld gelassen, um uns in die Irre zu führen...“
„Wollen Sie uns nicht den Tatort untersuchen lassen, bevor Sie wild herum spekulieren?“, wandte Kriminaltechniker Lutz Fabian ein, der inzwischen ebenfalls eingetroffen war und Dr. Bader, der zusammen mit ihm zum Astor gekommen war, ergänzte: „Wenn Ihr so schlau
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