Todesengel
Westentaschen ein. »Ich habe das Gefühl, daß die örtliche Polizei sich überhaupt keine Mühe gibt, den Fall zu lösen«, sagte Angela. »Wenn nun jemand wie Sie, der hier in Bartlet immerhin ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat, vielleicht mal laut darüber nachdächte, ob man in der Mordsache Hodges nicht etwas mehr tun müsse, dann würde bestimmt etwas passieren.«
Sherwood rückte etwas näher mit seinem Stuhl an den Schreibtisch heran. Er fühlte sich sichtlich geschmeichelt. »Ich freue mich, daß Sie mir vertrauen«, begann er. »Aber ich glaube wirklich, Sie müssen sich keine Sorgen machen. Hodges ist nicht irrtümlich das Opfer sinnloser Gewalt geworden. Und er ist sicher auch nicht von einem Serienmörder umgebracht worden.«
»Woher wollen Sie das wissen?« fragte Angela. »Wissen Sie etwa, wer Hodges ermordet hat?«
»Meine Güte, natürlich nicht«, erwiderte Sherwood nervös. »Das wollte ich nun auch wieder nicht sagen. Ich meine… also, ich dachte… also, Sie und Ihre Familie müssen sich jedenfalls wirklich keine Sorgen machen.«
»Ob wohl viele Leute wissen, wer Hodges umgebracht hat?« fragte Angela und mußte dabei an Davids Selbstjustiz-Theorie denken.
»Nein, das glaube ich nicht«, erwiderte Sherwood. »Aber Hodges war ein ziemlich unbeliebter Mann, der eine ganze Reihe von Leuten verärgert hat. Nicht einmal ich bin mit ihm klargekommen.« Sherwood lachte wieder nervös und erzählte Angela die Geschichte über das Stück Land, das Hodges umzäunt und aus purer Boshaftigkeit nicht verkauft hatte, bloß um Sherwood daran zu hindern, seine eigenen zwei Parzellen richtig nutzen zu können. »Wenn ich Sie richtig verstehe, versuchen Sie mir gerade klarzumachen, warum sich in Bartlet niemand darum schert, wer Hodges ermordet hat; weil es nämlich niemanden interessiert, da Hodges ohnehin allgemein unbeliebt war.«
»Ja, so ungefähr«, gab Sherwood zu. »Mit anderen Worten kann man also sagen, daß wir es hier mit einem verabredeten Schweigen zu tun haben.«
»So würde ich es nun auch wieder nicht nennen«, erwiderte Sherwood. »Wir haben es eher mit einer Situation zu tun, in der die Leute das Gefühl haben, daß eine gerechte Strafe verhängt worden ist. Und deshalb ist es den meisten egal, ob wegen des Mordes jemand verhaftet wird oder nicht.«
»Aber mir ist es nicht egal«, erwiderte Angela. »Immerhin ist der Mord in meinem Haus geschehen. Außerdem dachte ich, daß es in unserem Zeitalter für selbsternannte Hilfspolizisten keinen Platz mehr gibt.«
»Normalerweise wäre ich der erste, der Ihnen da zustimmen würde«, erwiderte Sherwood. »Ich will diesen Mord auch weder aus moralischer noch aus rechtlicher Sicht gutheißen. Was ich sagen will, ist nur, daß der Fall Hodges ziemlich verwickelt ist. Ich denke, Sie sollten vielleicht mal mit Dr. Cantor darüber reden. Er wird Ihnen einen ausgezeichneten Eindruck davon vermitteln können, welch ein Durcheinander Hodges angerichtet und für welche Animositäten er gesorgt hat. Vielleicht verstehen Sie die Lage danach etwas besser und sind nicht mehr so voreingenommen.«
Als Angela den Hügel zum Krankenhaus hinauffuhr, wußte sie nicht, was sie tun sollte. Sie war gänzlich anderer Meinung als Sherwood, und je mehr sie über Hodges erfuhr, desto neugieriger wurde sie. Mit Cantor allerdings wollte sie nicht noch einmal sprechen - nicht nach dem Gespräch, das sie am Tag zuvor mit ihm geführt hatte. Als Angela im Krankenhaus ankam, ging sie auf direktem Wege in jenen Teil des pathologischen Labors, in dem die Gewebeschnitte angefärbt und für die Analyse vorbereitet wurden. Ihr Timing war perfekt: Die Proben, die sie am Morgen in Auftrag gegeben hatte, waren gerade so weit, daß sie sie mit in ihr Arbeitszimmer nehmen konnte. Sie nahm das Tablett und eilte in ihr Büro. Als sie ihr Zimmer betrat, stand Wadley bereits in der Verbindungstür. Genau wie am Tag zuvor hatte er schlechte Laune. »Ich habe sie eben gesucht«, sagte er irritiert. »Wo zum Teufel haben Sie gesteckt?«
»Ich mußte mal schnell zur Bank«, erwiderte Angela nervös. Sie spürte, wie ihr die Knie weich wurden. »Beschränken Sie Ihre Bankbesuche demnächst auf die Mittagspause«, sagte er wütend. Er zögerte noch einen Augenblick, ging dann aber wortlos in sein Büro und knallte die Tür hinter sich zu. Angela seufzte vor Erleichterung.
Sherwood hatte sich nicht vom Fleck gerührt, seit Angela sein Büro verlassen hatte. Er dachte darüber nach,
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