Todesformel
in die Arme schließen. Meine Wut macht mich kalt und klar. Ich fasse noch rasch nach meinem roten Pullover, der seltsamerweise hier in Noëls Zimmer über der Stuhllehne hängt, drücke ihn Noël in den Arm, als wäre es ein Teddy: »Den nimmst du besser mit, falls es Abend wird, bis ich komme. In den ›Höhen‹ geht immer etwas Wind, doch wir beeilen uns.« Ich wage nicht, Noël anzufassen, wir bewegen uns abgehackt, wie Puppen. Wo ist denn Moshe, unser Wachhund? Ich sehe ihn nirgends, vermutlich hat er sich unter das Bett verkrochen.
Schon sind wir wieder im Korridor, Platen-Alt stößt die Toilettentür auf, wirft einen Blick hinein, seine hellen Handschuhe stören mich enorm. Ein nächster Blick in die Küche, einen in den Abstellschrank, schon drückt er die Türfalle zum Bad: »Diese Tür ist verschlossen.«
Ich sage so normal ich kann: »Das Bad kann nicht betreten werden, es wurde frisch gestrichen und darf zwei Tage nicht benutzt werden. Die Maler haben irrtümlicherweise den Schlüssel mitgenommen.« Man könnte den Schlüssel im Schloss stecken sehen, bückte man sich. Noël schaut mich groß an. Ich weiß, dass er versteht, was vor sich geht. Laut und deutlich sage ich zu ihm, und es ist wieder für Claas bestimmt:
»Die Frau will etwas, das bei Alja ist. Du hast sie auch schon gesehen, es ist die Schwester von Meret Platen. Ich muss mit der Frau jetzt in die Mühle fahren. Dann kommen wir zu dir und ich hole dich.« Ich umarme Noël und es bricht mir das Herz.
Noël sagt leise mit dünner Stimme in wachsender Panik: »Es ist die böse Frau von ›Holsten‹. Ihre Hunde haben Fritzi gefressen. Ich will kein Meerschweinchen von ihr.«
Ich küsse sein weiches, jetzt ganz kaltes Ohr, hauche: »Wir sind beide sehr starke Ritter, die wissen das bloß nicht.« Dann sage ich laut: »Du bist vernünftig. Ich komme dich abholen, du kannst dich darauf verlassen. Ich muss nur rasch mit der Frau eine CD-ROM holen. Ich hoffe, sie ist dort, wo ich meine, dass sie ist.«
Platen-Alt fasst mit seiner Handschuhhand nach Noëls Hand, Noël hat eine dünne scharfe Linie zum einen Mundwinkel, sein kleines Kinn schiebt sich etwas nach vorn. Er schaut mich nicht an, hält sich bolzgerade, schaut geradeaus, sie gehen.
Hochmütig, eilig, Chantal Platen-Alt redet zu mir von oben herab in einem Ton, den man von ihr als Politikerin ganz sicher nicht kennt – hämisch. Ich soll mich für unseren Ausflug vernünftig anziehen, soll daran denken, dass die Pistole entsichert und griffbereit in ihrer Umhängetasche steckt, in erster Linie aber solle ich meinen Jungen nicht vergessen. Ich schaue teilnahmslos, sie darf nicht fühlen, dass ich sie in Gedanken mit einem Schlag niedergestreckt habe. Diese widerwärtige Frau begleitet mich wirklich ins Schlafzimmer, schaut zu, wie ich mich umziehe, Jeans, Turnschuhe, Blouson, es ist ja kein Sonntagsspaziergang. Ich sehe ihre trittsicheren zweifarbigen Golfschuhe. Ich solle die Ausweise nicht vergessen, wir werden in meinem ›Jeep‹ fahren. Wieder sind wir im Korridor, nicht an Claas denken.
Beim Hinausgehen schalte ich die Alarmanlage automatisch ein. Sie geht hinter mir, meint im Treppenhaus, wieder mit diesem eklig hämischen Unterton: »Sie haben ein sehr teures Alarmsystem installiert. Die beste Alarmanlage ist ihren Preis nicht wert. Es ist zu einfach: Die Sicherheitsfirma, die hier gearbeitet hat, lässt sich über die Unterlagen im Sitz Ihrer Hausversicherung ermitteln. Im Computer der Versicherung dieser Firma lassen sich die Arbeitseinsätze der Angestellten abrufen. Dort lässt sich feststellen, welcher Chefmonteur diese Anlage installiert hat. Fast jeder Mensch ist erpressbar oder er hat seinen Preis. Beim Abwickeln derartiger Geschäfte muss man bloß sehr diskret bleiben. Ich habe einen Mann, der ist darin äußerst geschickt. Wie beruhigend für Sie, beim Nachhausekommen die Wohnung gesichert zu finden.« Sie klingt triumphierend. Als wir nach draußen in die Wärme treten, merke ich, wie mir sehr kalt ist. Auch die Tafel der Haustür und jene des Gartentors schalte ich auf ›Sicherung ein‹. Ich rede nicht.
Seit diese zwei Menschen meine Wohnung betreten haben, weiß ich, von mir werden sie weder CD-ROM noch Code erhalten, nichts. Nicht nur aus Verantwortung, kein Mensch kann es verantworten, diese Daten weiterzugeben, eher bringt jemand sich selbst um. Doch so gut, wie ich jetzt weiß, dass es genau so gegangen ist, dass Meret Platen sich umgebracht hat, und
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