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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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meldet sich an der Gegensprechanlage.
    Ich trete einen Schritt zurück.
    Die Türklinke bewegt sich nach unten, die Tür geht sachte auf. Ich habe die Zusatzverriegelung nicht eingelegt, dachte, Claas werde erst kommen. Warum bellt denn Moshe nicht?
    Schon stehen zwei hell gekleidete Menschen im halbdunklen Korridor. Der zweite zieht die Tür hinter sich wieder zu, knipst das Licht an. Vor mir steht eine Frau, einen Kopf kleiner als ich, hält eine Pistole auf mich gerichtet, trägt gelochte Golfhandschuhe, hat eine spitze Nase, stechende blaue Augen, eine dunkle Lockenperrücke – Chantal Platen-Alt. Hinter ihr das Rattengesicht, ihr Mann; ich habe ihn mit diesen Kötern gesehen. Zeig nie deine Angst.
    »Ich weiß, wer Sie sind. Wie kommen Sie dazu, hier einzudringen, warum können Sie das überhaupt, was wollen Sie?« Konzentriere dich auf den Atem, ich denke an Dorothy, fühle mich leer, doch seltsam klar. Wir hatten damit gerechnet, dass sie sich nähern würden, doch mindestens Knut oder Sven oder beide sollten im Hintergrund sein. Die Alarmanlage, wir waren uns sicher gewesen, dass die Alarmanlage hält.
    An einem dünnen Faden bin ich nicht ganz allein – ich bemühe mich, nicht ins Badezimmer zu horchen, die Lüftung rauscht. Ich müsste an Chantal Platen-Alt vorbei gelangen, zum Alarmknopf bei der Eingangstür, rede lauter: »Wenn Sie einen Termin festsetzen wollen, rufen Sie doch bitte vorher an. Meine Kanzlei befindet sich ein Stockwerk tiefer. Heute ist schon Feierabend.« Ich mache einen kleinen Schritt in Richtung der Tür, doch sie versperrt mir den Weg.
    »Überlegen Sie es sich gut, bevor Sie den Alarm auslösen, die Pistole ist geladen.«
    Hinter der Tür neben mir meine ich, eine Bewegung zu hören, ein Knacken, jetzt ist die Lüftung aus. Lieber Gott, mach, dass Claas nicht herauskommt, mach, dass sie ihn nicht bemerken, mach, dass er merkt, dass hier der absolute Horror läuft.
    Ich hole Atem, rede laut, krächzend, ich will nicht schrill tönen: »Frau Platen-Alt, Sie bedrohen mich mit Ihrer Pistole, Sie dringen in meine Wohnung ein, Sie verlassen jetzt sofort diese Wohnung oder ich rufe die Polizei, das ist Hausfriedensbruch.« Jetzt weiß Claas Bescheid.
    Ihre Stimme ist klar, deutlich, ich höre darin das gefährliche Zischen einer Kobra, doch ich schaue ihr in die Augen, sie ist ein Mensch, ich bin ein Mensch, doch die Augen sind Glasmurmeln: »Sie sind mit dem Jungen allein im Haus. Ihre Beschützer sind alle unterwegs. Es ist zwecklos, irgendetwas unternehmen zu wollen. Vorläufig brauchen wir Sie lebendig wie den Jungen auch. Sie wollen doch für den Jungen nichts riskieren. Mein Mann nimmt ihn jetzt mit. Es geht um die Forschungsdaten der Firma ›Delton Biotec‹, die meine Schwester verfälscht und entwendet hat. Wo ist die richtige CD-ROM mit den ursprünglichen Daten? Wir wissen, dass Sie sie haben und, lassen uns nicht täuschen. Mein Mann und der Junge warten auf ›Holsten‹, bis ich mit dieser CD-ROM komme.«
    Ich rieche ihr Parfum – ›Primavera‹ –, sehr süß, denke: Noël. Sie haben auch Meret mit Noël erpresst, sie wollen mein Kind. Mein Herz hält das aus. Sie hat gesagt, ›bis ich komme‹, sie sagte nicht ›wir‹ und sie hat gesagt, ›vorläufig brauchen wir Sie lebendig‹. So, wie sie es sehen, bin ich dann schon tot, doch ich falle nicht tot um vor Entsetzen, das würde denen so passen. Ich fühle meine gestreckte rechte Hand ganz hart, als wollte ich ihr jetzt und gleich einen Handkantenschlag verpassen. Leider ist da die Mündung der Pistole. Ich fühle Claas neben mir hinter der Tür, denke, wenn er nur nicht von der Bockleiter fällt. Ich meine Charlotte Platen vor mir zu sehen, ihr Kichern zu hören. Die täuschen sich, ich bin nicht Meret Platen. Ich bin die Tochter eines ganz gewöhnlichen, tüchtigen Polizisten. Chantal Platen-Alt, die Frau mit den Kieselaugen, wird mich nicht beseitigen. Sie dürfen Claas nicht bemerken.
    Vor meinen Augen sehe ich Merets totes Gesicht, ich bin ganz ruhig. Es geht um Noël. Ohne weiche Knie gehe ich ihnen voraus in Noëls Zimmer. Noël kann die Pistole nicht sehen, doch er wird ganz klein. Ich rede so ruhig und so besonnen ich kann, etwas deutlich, die Konsonanten machen mir Mühe: »Noël, das sind die Leute, die auf ›Holsten‹ wohnen. Du gehst jetzt mit diesem Mann nach ›Holsten‹ und tust genau das, was er dir sagt.« Innerlich denke ich, mit dem ›lieben Onkel‹. Noël schaut entsetzt, ich möchte ihn

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