Todesformel
Feld Mäuse gefangen, mit einer richtigen Mausefalle für Feldmäuse, einem ›Klemmer‹. Die Mäuse hat sie gehackt und ihm zu fressen gegeben, nachts im Schuppen, wo sie ihm aus Kisten einen Verschlag gebaut hat. Nach ein paar Tagen ließ sie nachts die Schuppentür offen, damit er sich daran gewöhnte, wegzufliegen und zurückzukommen. Er war noch ganz jung, wie Moshe, als Knut ihn brachte.
Die Bilder stellen wir provisorisch auf den Kaminsims, vom Sofa aus gut zu sehen. Alja ist hingerissen von diesem Überraschungsgeschenk.
Wir reden dies und das. Unzusammenhängend, fast etwas zerstreut, fragt Meret Platen nach Dorothy, nach ihrer Tätigkeit als Astropsychologin, nach der astrologischen Verwandtschaft zwischen Mutter und Kind, nach ererbten Ähnlichkeiten. Ich habe keine große Ahnung von Astrologie. Die Spezialistin war immer Dorothy, später eben Alja. Solange ich nicht nachvollziehen kann, wie es funktioniert, kann ich mich nicht auf so etwas einlassen.
Alja lacht, hierher gehört die lustige Geschichte, die Felix Gamba, der Wegmacher, erzählt. Wir waren damals frisch zugezogen in Feldisberg, Dorothy, Knut und ich, also war ich etwas älter als Noël jetzt, erkundete offensichtlich den Friedhof von Hochberg. Dort traf ich auf Felix, der die Wege harkte. Er fragte, wer ich sei, wie ich heiße, wo ich wohne, wie alt ich sei, in welche Klasse ich gehe, was man ein Kind so fragt. Auf die Frage nach dem Alter habe ich ihn offensichtlich vergnügt und lebhaft erschrecken wollen, ich soll die Hände mit gespreizten Fingern wie eine Mähne an mein Gesicht gelegt haben, habe die Augen rund aufgerissen, die Unterlippe vorgeschoben und tief knurrend gesagt: »Ich bin der dumme August und ein Löwe, die machen gern Theater.« Ich hätte einen wirklich echten Brülllaut ausgestoßen und sei davongerannt. Noël schaut begeistert, Meret Platen gespannt, ich fühle, wie rot ich werde. Ich kann mich nicht erinnern, ein übermütiges freches Kind gewesen zu sein, ich kannte Felix noch nicht einmal. Woran ich mich erinnere ist, wie froh ich war, hier auf dem Land so viel rennen zu können.
Noël braucht frische Luft, also rennt er mit Moshe dreimal um Mühle und Tenne. Mit einem Schwall kühler Luft stürmen sie wieder herein. Sie haben Felix angetroffen, unten am Bach, ihr Lauf führte also etwas weiter als um Mühle und Tenne. Felix war unterwegs hierher, eigentlich wollte er auch Tee trinken. Wie er hörte, es sei schon Besuch da, habe er gemeint, so komme er morgen wieder.
Meret Platen streicht zu meinem Erstaunen über Noëls Locken, stellt fest, wie weich sie sind. Er lässt es andächtig geschehen. Sie erzählt ihm und uns, dass der gleiche Felix sie aus dem Weiher gezogen hat, als sie ein Kind war. Ohne ihn wäre sie ertrunken. Leise sagt sie, und den gleichen Felix habe ich nicht wiedererkannt, als ich nach ein paar Jahren im Ausland wieder hierher gekommen bin. Ich hatte nicht gewusst, dass der Wegmacher auch der Friedhofsgärtner ist, hatte nicht auf sein Gesicht geachtet, hatte nur den Hut und die Windjacke gesehen, als gehörten sie zu einer Vogelscheuche.
Von der Seite ist ihr Profil jetzt klassische Renaissance, die gewölbte Stirn, die ganz leicht gebogene Nase, das feine Kinn. Ich sehe das Kind vor mir, von dem Alja schon gesprochen hat, auch das hatte sie von Felix gehört. Damals, nach dem Tod ihres Vaters, sei sie oft wie ein Geist zwischen den Grabsteinen durchgehuscht, hätte ihn immer im Auge gehabt, doch getan habe sie, als sehe sie ihn nicht, immer auf der Flucht. Er habe sie mit einem wachsamen Reh verglichen. Nie habe sie Blumen auf das Grab ihres Vaters mitgebracht. Jedes Jahr einmal, am Ostersamstag, kam sie in Begleitung der Mutter Charlotte Platen, legte jedes Mal eine weiße Rose hin, ein Ritual. Die Platens waren eben anders.
Merets Verabschiedung ist herzlich. Es ist für sie der schönste Ostertee gewesen, den sie je erlebt hat. Aljas Ostertafel war beeindruckend und die Gastfreundschaft lieb. Besonders gefreut hat es sie, mich und Noël kennenzulernen. Sie werde sich freuen, uns beide wiederzusehen. Wir seien ›Mutter, Kind und Hund‹, fast wie aus dem Bilderbuch. Wenn ich nächstens wieder nach New York fliege, ich gehe sicher ab und zu meine Mutter besuchen, müsse ich auf jeden Fall die Sammlung Frick besichtigen, ich kenne sie doch. Ich solle dort das wundervolle Porträt von Thomas Morus grüßen, Holbein habe es gemalt. Es hänge in einem der letzten Zimmer des Rundgangs
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