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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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Kunstmaler. Wie groß, meinte Knut, könne ein Uhu sein? Belustigt von seiner Begeisterung zieht Knut ihn auf. Er hat noch nie die Ehre gehabt, mit einer der Damen von ›Holsten‹ Tee zu trinken, das sei gerade wie eine Audienz, das sei bei Königen so. Maler findet er ganz toll, er denke manchmal, er hätte auch besser einen Beruf gelernt, bei dem etwas Neues entstehe, eine Uhr oder eben ein Bild. Doch das Wichtigste sei, dass Noël zuerst rechnen und schreiben lerne, sonst könne er später den Käufern seiner Bilder keine Rechnungen schicken.
    Gegen Abend macht Noël im oberen Stockwerk einen Besuch, mit Moshe. Zum Nachtessen ist er pünktlich wieder da, Ehrensache, habe Claas gesagt. Noël hat mit Claas Neunerziehen gespielt, mit papierenen ›Steinen‹, er hat die Steine gemalt und ausgeschnitten. Zur Belohnung, weil er solange in Büchern gelesen hat. Er durfte die Bilder ansehen, die Claas für sein Buch sammelt, alles Kakteen. Claas ist nett, mit ihm kann Noël reden. Sie haben über Ostern geredet, über die ›Höhen‹. Claas würde wirklich gern einmal mitkommen, er kennt die Gegend nicht.
    * * *
    Osterdienstag beginnen Noëls Schulferien. Ich bin schon am ersten Tag gereizt und Mitte Nachmittag völlig gestresst. Wie soll man seine Arbeit tun, wenn ein Achtjähriger auf ein gutes Wort wartet; Lukas muss doch seine Arbeit ebenfalls erledigen, und dann ist immer noch Moshe.
    Es gibt Situationen, die lassen sich nicht einfach mit Organisationstalent bewältigen. Auch ein Glas Orangensaft aus dem Karton verbessert die Lage nicht, im Gegenteil, ich hasse diese Kartonverpackung, der Saft schmeckt doch einfach seifig, nur weil ich Zeit und Geld spare. Ich rufe Alja an. Dann schäme ich mich, am Telefon geweint zu haben. Auch wenn es echt war, so läuft es doch auf Erpressung hinaus. Drei Tage kann Noël bei Alja in der Mühle verbringen, Mittwoch, Donnerstag und Freitag. Moshe darf mit und Fritzi, das Meerschweinchen, ebenfalls. Fritzi würde sich ohne Noël verlassen fühlen oder umgekehrt.
    Wieder zwei Stunden weg. Alja freut sich. Sie sieht durchsichtig aus, das Rouge unterstreicht die Blässe, mit dunklen Ringen unter den Augen. An den Schläfen sind Adern zu sehen. Irgendetwas macht sie nervös. Dreimal geht sie ans Fenster, schaut konzentriert zum Waldrand, scheint zu lauschen. Sie behauptet, es seien Marder in der Nähe. Es nisten doch immer wieder Marder in der Tenne oder im Schuppen. Wie Moshe unbegründet bellt, fährt sie zusammen, stellt ein Wasserglas heftig hin.
     
    Ich arbeite und arbeite.
    * * *
    Donnerstag kommt Claas Ranke zur Besichtigung der Badezimmerdecke, die noch immer nicht ganz trocken ist, doch dass sie sehr hässlich sein wird, ist unübersehbar. Anschließend lädt er mich zu ›Focaccia‹ und einem Glas Wein ein. Der Kuchen ist gut, doch vom Käse brennen unvermittelt meine Augen oder ist es der Wein, eine Allergie, ich muss gar nicht in einen Spiegel schauen, um zu wissen, wie dekorativ meine Mascara zerfließt. Ein Waldkauz. In Claas’ Badezimmer wasche ich rund um die Augen mit Seife, staune über die pingelige Ordnung von Rasierzeug und Zahnbürste, auch die Badetücher hängen gerade. Ohne Mascara sehe ich anders aus, etwas englisch. Jetzt, Ende des Winters, ist meine Haut durchsichtig blass, hatte ich denn diese blassen Sommersprossen um die Nase schon immer? Hätte ich Zeit, ich ginge in ein Solarium, an Ferien ist gar nicht zu denken. Wir plaudern bis in die Nacht, kommen auf Aljas Kaktus zu sprechen. Das entstehende Kakteenbuch hat er mit einem Botaniker entwickelt, ein Starfotograf ist dabei, das Bildmaterial aufzubereiten, Claas ist der Texter, doch letztlich wird es ›sein‹ Buch sein. Es ist wirklich als Kaffeetischbuch konzipiert, eines, das dekorativ in Designerwohnzimmern aufgelegt wird oder in Direktionsetagen. Man muss so einem Buch eben ansehen, dass es die dreihundert Euro wert ist, die dafür zu bezahlen sind. Ich studiere das eine Foto. Noël könnte recht haben. Der alte Kaktus in Aljas Treibhaus sieht einigermaßen gleich aus wie dieser guatemaltekische Pfeilkaktus. Aljas Kaktus ist nur sicher doppelt so groß wie dieser, sicher zwei Meter hoch, auf jeden Fall größer als ich. Möglicherweise ist er auch fleischiger. Nein, ich bin erst ein paar Mal in diesem hinteren Teil ihres Treibhauses gewesen. Noël geht bei Alja ein und aus, seit er sprechen kann. Sie hat ihm möglicherweise Respekt vor diesem Kaktus beigebracht, falls er wirklich giftig ist,

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