Todesgarten
Körperverletzungen gegen schwule Männer im Tiergarten zu tun. Seit Wochen
häufen sich da die Vorfälle. Es gibt ein paar Opfer, die mit uns
zusammenarbeiten. Aber auch eine Menge, die sich völlig verweigern. Vermutlich
handelt es sich bei den Tätern um Jugendliche deutscher Herkunft. Eine Gang,
wieâs aussieht. Seit ein paar Tagen haben wir sogar ein Phantombild von einem
der jugendlichen Täter. Bisher hat sich aber noch nichts ergeben. Das Bild
bekommen Sie natürlich. «
»Eine Serie?«, fragte einer. »Was muss man sich denn
darunter vorstellen?«
»Fünf Fälle in den letzten drei Wochen. Das ist zumindest
das, was wir wissen. Wahrscheinlich gibt es eine Dunkelziffer. Nicht in allen
Fällen wurde das Opfer ausgeraubt, es ging offenbar vorrangig um Gewaltanwendung.
Habgier war nicht das tragende Motiv.«
»Also suchen wir nach einer Gruppe gewalttätiger Jugendlicher
deutscher Herkunft.«
»Danach sieht es zumindest aus. Eine Sache spricht allerdings
dagegen: Im aktuellen Fall fehlt der Aspekt der Brutalität. Das Opfer ist nicht
verprügelt worden, sondern erhielt einen einzigen tödlichen Schlag. Vielleicht
ist bei der Tatausübung diesmal etwas schiefgegangen. Oder aber die Jugendlichen â¦Â«
Die Tür zum Besprechungsraum flog auf. Michael schrak
zusammen und ging in Deckung. Gerade noch rechtzeitig, denn das Türblatt
verfehlte ihn nur um Zentimeter. Frau Schrade stand auf der Schwelle und suchte
Wolfgangs Blick.
»Herr Herzberger?«
»Was ist denn, Frau Schrade?«
»Entschuldigen Sie bitte. Ich störe nur ungern.«
Wolfgang gegenüber gab sie sich stets freundlich und
sogar ein bisschen unterwürfig. Aber er war ja auch der Chef. Von Michael
dagegen erwartete sie, dass er auf ihre komplizierten Stimmungen Rücksicht
nahm. Und immer, wenn sie etwas für ihn tippen sollte, musste er sie höflich
darum bitten. Ein ermüdendes und ritualisiertes Vorspiel â dabei war es doch
ihr verdammter Job, ihnen Arbeit abzunehmen.
»Aber ich habe gedacht, die Sache könnte wichtig
sein«, fuhr sie fort. »Es hat sich nämlich schon einer gemeldet. Wegen des
Fotos von dem Toten. Das steht ja im Internet.«
»Dann haben wir einen Namen?«, fragte Wolfgang.
»Ich denke, ja.«
Michael rückte mit seinem Stuhl ein wenig zur Seite,
um etwas mehr Platz zwischen sich und Frau Schrade zu schaffen. Es dauerte eine
Weile, bis die Identität des Toten zu ihm durchsickerte. Der vertraute Name
gehörte nicht hierher. Nicht in sein Leben bei der Polizei, und schon gar nicht
in Verbindung mit einem Verbrechen. Er hielt den Atem an.
»Der Tote heiÃt Daniel Treczok.«
Â
Eine gute Stunde später waren die meisten Ermittlungsteams
bereits aus dem Haus. Es war ungewöhnlich ruhig auf dem Flur, beinahe
geisterhaft. Michael hörte nur den stark gedämpften Lärm einer Baustelle am
anderen Ende der StraÃe. Er starrte an seinem Computerbildschirm vorbei in den
trüben Himmel. Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen, doch die stahlgraue
Wolkendecke hing immer noch über der Stadt.
Daniel Treczok. Er schloss die Augen. Vergiss ihn einfach.
Du hast mit alledem nichts mehr zu tun. In zwei Tagen bist du im Urlaub. Sollen
sich die anderen darum kümmern.
Doch es half nichts, er konnte die Gedanken an Daniel
nicht verbannen. Dabei hatte er seinen Namen seit Ewigkeiten nicht mehr gehört.
Das alles war doch unwiderruflich vergangen. Der ganze Schrecken dieser Jahre.
Aus und vorbei.
Daniel Treczok.
Geh weg, dachte er. Und wieder: »Geh weg!«
»Meinst du mich?«
Anke war hinter ihm aufgetaucht. Sie trat ins Büro und
sammelte ein paar Unterlagen von ihrem Schreibtisch auf.
»Nein ⦠Entschuldige. Ich war in Gedanken.«
Sie hob den Blick. »Alles in Ordnung?«
»Natürlich. Ich habe nur Kopfschmerzen.«
Er wechselte besser das Thema. »Wieso bist du eigentlich
noch im Haus? Ich denke, du bist mit Harald unterwegs.«
»Nein. Wolfgang hat mich mit dem Kurzen in ein Team gesteckt.«
Sie meinte Lohmann, den Kommissarsanwärter. Im Grunde war er sogar ein paar
Jahre älter als Anke und Michael, weil er aus dem Mittleren Dienst stammte und
erst viel später die Kriminalkommissarslaufbahn eingeschlagen hatte. Aber
trotzdem nannten sie ihn nur den Kurzen, wie alle anderen auch. »Wir sollen den
Treppenterrier in der Nachbarschaft
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