Todesküste
Gesicht tanzten. »Die nehme ich doch nicht mit.«
»Da siehst du’s«, maulte Lars. »Die müssen nicht mit
ihrer Sippe losziehen.«
Meiners stupste seinem Sohn kameradschaftlich in die
Seite. »Verstehe ich ja. Aber Mutti und Heike finden es nun einmal schön, wenn
wir gemeinsam etwas unternehmen. Und der Heider Marktfrieden ist doch etwas
Besonderes für uns Dithmarscher. So eine Veranstaltung gibt es nur hier.«
»Trotzdem. Und außerdem war es dein Wunsch, nicht
Mamas. Meine blöde Schwester hat sowieso andere Interessen.«
Meiners lachte vergnügt. »Mensch, Junge. Wir machen
einen Deal. Irgendwann sind die beiden Frauen müde. Dann gehen wir etwas essen.
Ich stecke dir noch einen kleinen Taschengeld-Bonus zu, und dann verdrückst du
dich und ziehst mit deinen Kumpeln los. Einverstanden?« Steffen Meiners fuhr
seinem Sohn durch die hochgegelten Haare.
Lars zuckte halbherzig zurück. Er mochte diese Geste
nicht. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Erwachsene behandelten sich
untereinander auch nicht so. Im vertrauten Kreis war es etwas anderes. Zwar
brummte er dann auch, aber insgeheim freute er sich über diese Art der
Vertrautheit zwischen ihm und seinem Vater. Steffen Meiners hatte den
schwierigen Spagat zwischen väterlicher Autorität und kameradschaftlicher
Freundschaft zu seinem pubertierenden Sohn erfolgreich geschafft. Er wies Lars
noch an den Stellen den Weg, wo der Jugendliche die Gefahren nicht selbst
erkennen konnte, behandelte ihn auf der anderen Seite aber schon wie einen
werdenden Erwachsenen. Insbesondere das Glas Bier, das er beim familiären
Grillen seinem Sohn anbot, verlieh Lars das Gefühl, akzeptiert zu sein.
Eigentlich ist er ganz in Ordnung, dachte Lars, drehte
sich kurz zu seinem Vater um und zwinkerte ihm zu. Dann versuchte er, sich
einen Weg durch die Menge zu bahnen. Ein paar Schritte weiter stieß ihn sein
Vater an.
»Sieh mal, da drüben. Der hat ja eine tolle
Kostümierung. Sieht aus wie ein Leprakranker.« Lars versuchte, sich umzudrehen,
wurde aber gleichzeitig durch seine Schwester abgelenkt, die mit ihrer hellen
Mädchenstimme seinen Namen rief. Er konnte Heike im Gewühl nicht entdecken, sah
aber den Blondschopf seiner Mutter.
Plötzlich bekam er einen heftigen Stoß in den Rücken,
erschrak und wollte sich zornig umdrehen, als auch die Menschen in seiner
Umgebung trotz der Enge auseinanderwichen. Lars sah, dass sein Vater der Länge
nach hingefallen war. Natürlich wurde hier geschubst und gedrängelt. Es war
unvermeidbar, dass man unfreiwillige Berührungen anderer Marktbesucher erdulden
musste, aber jetzt, am Nachmittag, wenn Familien die Besuchermassen
dominierten, herrschte keine Bösartigkeit. Daher war Lars zunächst verblüfft,
dass jemand seinen Vater so heftig angestoßen haben sollte, dass dieser
gestürzt war. Sein Vater unternahm keine Anstalten, sich wieder aufzuraffen.
»Eh, was ist?«, fragte ein Fremder, der etwa im Alter
von Steffen Meiners zu sein schien.
Ein anderer schüttelte missbilligend den Kopf.
»Mensch! Das ist doch eine Schande, wenn man so besoffen ist, dass man nicht
mehr stehen kann.«
»Richtig«, pflichtete eine Frau aus der Runde der
Gaffer bei. »Das ist kein gutes Beispiel für unsere Kinder.«
»Mami, was ist mit dem?«, fragte neugierig ein kleines
Mädchen an der Hand der Frau, die nicht daran dachte, ihre Tochter
fortzunehmen.
»Der ist betrunken«, erklärte die Mutter und fügte
vernehmlich ein »Pfui« an.
Lars beugte sich hinab. »Papa, was ist los? Komm, steh
wieder auf«, sagte er und sah hilflos in die Runde der Leute, die sich um ihn
geschart hatten.
»Ist das dein Vater?«, fragte die Frau mit dem Kind an
der Hand. »Der ist dir aber kein leuchtendes Vorbild.«
»Der hat keinen Alkohol getrunken«, rief Lars zornig.
Vorsichtig rüttelte er an der Schulter. »Mensch. Papa. Sag, was hast du?«
Er starrte in die Gesichter der Gaffer, die ihn und
seinen reglos auf dem Boden liegenden Vater neugierig musterten. Lars
versuchte, seinen Vater aufzurichten. Es gelang ihm nur, den Oberkörper ein
Stück in die Höhe zu ziehen und dabei den Kopf, der im Schmutz lag, mit
anzuheben. Ein eiskalter Schreck durchfuhr Lars, als er das Blut sah, das in
einem dünnen Rinnsal aus Steffen Meiners’ Mundwinkel lief.
»Papa! Papa!«, rief Lars verzweifelt und zerrte am
Oberkörper seines Vaters.
Schlagartig war das Gemurmel der Neugierigen
erloschen. Jetzt beugte sich ein älteres Ehepaar zu Steffen Meiners hinab.
Deutlich
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