Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
die Familienhilfe kennengelernt. Haben Sie schon von der gehört?« Ihre Stimme wurde weicher.
»Ja, ich habe eine Kleinigkeit gespendet«, antwortete Ari ziemlich reserviert.
Ihre Stimmung änderte sich schlagartig. »Toll, das zu hören! Elías hat mir, wie gesagt, seine Hilfe angeboten, er meinte, er hätte genug Zeit und wolle der Gesellschaft etwas zurückgeben.«
Sie machte eine kurze Pause. »Anfang des Jahres hat er dann eine Wohnung für ein paar Monate gesucht, bis der Tunnel fertig ist. Ich hatte bei einem Treffen der Familienhilfe mal erwähnt, dass ich das Haus umgebaut habe, um die obere Etage zu vermieten oder zu verkaufen. Er war ein vorbildlicher Mieter«, sagte sie und senkte ihre Stimme, als bemühe sie sich, besonders taktvoll über den Verstorbenen zu sprechen. »Man hat ihn nie gehört. In der letzten Zeit war er öfter weg.«
»Hatten Sie Zugang zu seiner Wohnung?«
»Zugang? Ja, natürlich, aber ich bin nie raufgegangen. Man muss ja die Privatsphäre achten.« Ari hatte den Eindruck, dass sie trotzdem ein bisschen beschämt war.
»Was war er für ein Mensch?«
»Ein feiner Kerl, wirklich. Ich bewundere Menschen, die sich für wohltätige Zwecke einsetzen. Und er sah auch noch richtig gut aus. Muskulös, so wie Sie.« Sie blinzelte ihm zu. Ari versuchte, es zu ignorieren, spürte aber, dass er rote Wangen bekam, nur weil er versuchte, dagegen anzukämpfen.
»Seien Sie doch nicht so verlegen, man muss sich doch für sein Aussehen nicht schämen.« Wieder lächelte sie und beugte sich zu ihm. »Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Einen Kaffee? Ich habe auch Rotwein und Weißwein.«
Ari stand abrupt vom Sofa auf. »Wir sollten uns auf das Berufliche konzentrieren«, sagte er abweisend. »Würden Sie mich jetzt freundlicherweise in seine Wohnung lassen.« Das war keine Frage, sondern ein Befehl.
»Ja, selbstverständlich.« Nóra schien die Zurückweisung nicht persönlich zu nehmen.
Sie begleitete ihn die Treppe hinauf und machte Anstalten, mit ihm in die Wohnung zu gehen, aber er bat sie, draußen zu warten.
Das obere Stockwerk war eindeutig nicht als Wohnung konzipiert worden. Es gab zwei Räume und ein kleines Bad. Die Räume waren früher vermutlich Schlafzimmer gewesen, aber einer war in eine ziemlich geschmacklose Kombination aus Wohnzimmer und Küche umgewandelt worden. Die Möbel dienten mehr dazu, den Raum auszufüllen, als ihn zu verschönern. An der Wand stand ein Kühlschrank, daneben ein Spülbecken und ein Herd, aber man konnte kaum von einer Kücheneinrichtung sprechen.
Das Schlafzimmer war auch eher unscheinbar. Ein Doppelbett und ein paar Schwarzweißfotos an den Wänden. Kaum persönliche Gegenstände, nur eine Jacke auf dem Bett und Schuhe auf dem Fußboden, daneben Hanteln.
Im Kleiderschrank lagen Klamotten auf einem Haufen und ganz unten stand eine offene Sporttasche. In der Tasche war ein großes, weißes Handtuch, zusammengefaltet und unbenutzt.
Erst als Ari den Inhalt der Tasche genauer unter die Lupe genommen hatte, rief er Tómas an.
12 . Kapitel
Ísrún brauchte nicht lange, um Informationen über Elías’ Exfrau einzuholen.
Inzwischen war sie richtig gut darin, im Internet nach Leuten zu recherchieren, auf völlig legale Art. Es war wirklich unglaublich, wie unvorsichtig manche in dieser Hinsicht waren. Schon damals, als sie zuletzt journalistisch gearbeitet hatte, waren solche Recherchen nicht schwer gewesen. Inzwischen konnte sie sogar problemlos im Internet alte Tageszeitungen durchforsten, und verschiedene Social Media Plattformen machten es zu einem Kinderspiel, alle möglichen persönlichen Daten zu bekommen.
Die Aschewolke über Reykjavík wurde dichter; die Frau beim Meteorologischen Dienst hatte recht gehabt. Draußen war es ungewöhnlich, dennoch konnte man nicht von gutem Wetter sprechen. Dafür war die Luft zu trocken und zu schmutzig.
Ísrún war froh, ins Auto zu kommen, und widerstand der Versuchung, das Fenster herunterzukurbeln, trotz der erdrückenden Hitze im Wagen. Fröhliche Sommermusik tönte aus dem Autoradio, während sie runter zum Reykjavíker Hafen fuhr, wo Iðunn, Elías’ Exfrau, ein kleines Café betrieb.
Die Hafengegend war ziemlich ruhig, bis auf ein paar Touristen, die darauf warteten, an Bord eines Schiffes zu kommen, um Wale oder Papageitaucher zu beobachten. Ísrún ging manchmal am Wochenende zum Hafen und kaufte frischen Fisch auf dem Fischmarkt, am liebsten Heilbutt. Manchmal arbeitete sie auch am
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