Geliebter Schuft
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1. K apitel
Constance Duncan nickte dem Portier zu, der ihr die Glastüren von Fortnum and Majori aufhielt, und betrat die marmorne Weite des Teesalons, in dessen Stimmengewirr die Klänge des tapfer spielenden Streichquartetts auf dem kleinen Podium hinter der schimmernden Tanzfläche fast untergingen.
Sie hielt einen Moment auf der Schwelle inne, bis sie ihre zwei Schwestern an ihrem bevorzugten Tisch vor einem der hohen, auf den Piccadilly hinausblickenden Fenster erspähte, doch boten die vom Regen gestreiften Scheiben kaum Aussicht auf die Straße oder Burlington House gegenüber.
Ihre Schwester Prudence erblickte sie fast gleichzeitig. Constance hob grüßend eine Hand und eilte zwischen den Tischen hindurch auf die beiden zu.
»Du siehst ja aus wie eine gebadete Maus«, bemerkte Chastity, die jüngste der drei, als Constance vor ihnen stand.
»Danke, Herzchen«, erwiderte Constance mit ironisch hochgezogenen Brauen. Sie schüttelte die Nässe vom Regenschirm und übergab ihn einem Kellner, der plötzlich an ihrer Seite aufgetaucht war. »Es regnet in Strömen.«
Sie zog die Nadeln aus dem Hut und betrachtete ihn mit einer gewissen Wehmut. »Um die Straußenfeder ist es wohl geschehen ... sie trieft vor Nässe.« Sie reichte den Hut dem
Kellner. »Nehmen Sie den auch mit. Vielleicht trocknet er in der Garderobe.«
»Gewiss, Miss Duncan.« Er nahm das tropfende Gebilde in Empfang, verbeugte sich und eilte lautlos davon.
Constance zog einen zierlichen vergoldeten Stuhl heran und setzte sich, wobei sie die Falten ihrer feuchten Taftröcke ausbreitete. Sie zog ihre Glac éhandschuhe aus, strich sie glatt und legte sie neben sich auf den Tisch. Ihre Schwestern warteten geduldig, bis sie es sich bequem gemacht hatte.
»Tee?« Prudence hob die silberne Teekanne.
»Nein, ich nehme lieber einen Schluck Sherry«, sagte Constance und wandte sich dem Serviermädchen zu, das sich dem Tisch näherte. »Mir ist so kalt, und ich bin so durchnässt wie nach einer Moorhuhnjagd, obwohl es erst Juli ist. Ach, und getoastete Teekuchen, bitte.«
Das Mädchen knickste kurz und eilte davon.
»Prue und ich sind dem Regen entgangen«, sagte Chasti ty. »Er fing erst an, als wir hier ankamen.« Sie leckte ihren Finger ab und tupfte Kuchenkrümel vom Teller auf. »Was meinst du, Prue, können wir es uns leisten, wenn ich mir noch eines dieser köstlichen Millefeuilles gönne?«
Prudence seufzte. »Deine Naschhaftigkeit ist unsere kleinste Sorge, Chas. Sie wird uns sicher nicht ruinieren.«
Constance fasste ihre Schwester schärfer ins Auge. »Was ist, Prue? Gibt es etwas Neues?«
Prudence nahm ihre Brille ab und reinigte sie mit der Serviette. Dann hielt sie die Gläser ans Licht und spähte kurzsichtig hindurch, ehe sie sie für klar befand und wieder auf ihrer langen Nase platzierte. »Jenkins wandte sich heute Morgen an mich ... noch sorgenvoller als sonst. Es geht darum, dass Vater bei Harper an der Gracechurch Street An w eisung gab, ein Fässchen Port für ihn einzulagern und seinen Weinkeller mit einem Dutzend Gebinden eines ganz speziellen Margaux zu ergänzen. Von Mr. Harper kam daraufhin eine sehr hohe und sehr überfällige Rechnung mit dem höflichen Ersuchen, sie zu begleichen. Erst dann sei an eine neue Bestellung zu denken ...«
Sie unterbrach sich, als die Bedienung mit einem silbernen, abgedeckten Tablett und einem Glas dunklen, st arken Sherry erschien. Beides wü rde vor Constance hingestellt, sodann wurde der Deckel gehoben, unter dem köstlich duftende, getoastete Teekuchen zum Vorschein kamen.
»Die sehen ja vorzüglich aus.« Chastity streckte eine Hand aus und bediente sich. »Du hast doch nichts dagegen, Con?«
»Nein, nur zu. Aber ich dachte, du möchtest noch ein Millefeuille.«
»Nein, ich nasche lieber von deinen Kuchen, das ist billiger.« Chastity biss von dem gebutterten Stück ab und wischte mit der feinen Leinenserviette sacht über den Mund. »Und wie reagierte Vater auf Mr. Harpers Rechnung?«
»Rate mal ... ach, ich möchte eine Schnitte von diesem herrlich dekadenten Schokoladekuchen, bitte.« Prudence lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und deutete auf den Gebäckwagen. »Er polterte los und drohte, bei Harper künftig nichts mehr zu bestellen ... An die hundert Jahre sind die Duncans Kunden bei Harper an der Gracechurch Street...« Sie nahm eine Gabel voll Kuchen und führte sie an die Lippen. »Das übliche Gedonner ... ach, das schmeckt aber
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