Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)
ihrer jungen Familie im Dachgeschoss ihres Elternhauses wohnte,
war wie ausgestorben. Noch nicht einmal die neugierige Schleicherin war unterwegs.
Und das, obwohl sie mit ihrem übergewichtigen Hund stets um diese Uhrzeit eine letzte
Inspektionsrunde durchs Musikerviertel drehte. Normalerweise konnte man die Uhr
nach den beiden stellen.
»Glaubt
ihr, die alte Tratschtante hat endlich ins Gras gebissen?«, versuchte Tannenberg
einen Scherz zu landen. Doch niemand reagierte auf seine makabere Bemerkung.
Dr. Schönthaler
verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zu seinem nur einen Steinwurf entfernt
in der Glockenstraße gelegenen Domizil. Tannenberg betrat das Haus seines Bruders,
verließ es aber sogleich wieder durch den Hintereingang und nahm die Abkürzung über
den gemeinsamen Innenhof. Dann betrat er das an die Beethovenstraße angrenzende
Zweifamilienhaus, in dem er gemeinsam mit Johanna von Hoheneck das Obergeschoss
bewohnte, während seine Eltern im Parterre residierten.
»Komm schnell,
Wolf«, hörte er plötzlich Mariekes Stimme in seinem Rücken. Ruckartig drehte er
sich um. Seine Nichte stand am Fenster und fuchtelte aufgeregt mit den Armen herum.
»Bei uns ist eingebrochen worden.«
»Wo ist
Emma?«, brüllte Tannenberg zurück. Vor ein paar Jahren war der kleine Sonnenschein
der Familie von einem Psychopathen entführt worden, der sich an dem Kommissariatsleiter
hatte rächen wollen. Seitdem reagierte er hochsensibel auf alles, was auch nur annähernd
mit Emma zu tun hatte.
»Sie schläft
doch heute Nacht bei Oma und Opa«, erklärte Marieke.
»Bist du
dir auch sicher, dass sie wirklich dort ist?«
»Emma schlummert
tief und fest in unserem Ehebett«, sagte Jacob, den die lauten Stimmen seiner Familienmitglieder
aus dem Tiefschlaf gerissen hatte, von seinem Schlafzimmerfenster aus
»Gott sei
Dank«, seufzte Tannenberg erleichtert.
»Warum macht
ihr denn mitten in der Nacht solch einen Höllenlärm? Seid ihr etwa alle besoffen,
oder was?«, schimpfte der Senior.
»Nein, Opa,
bei uns ist eingebrochen worden«, antwortete Marieke.
»Bin schon
unterwegs«, gab der alte Tannenberg zurück.
Höchstens
zwei Minuten später traf der als Sherlock Holmes aus der Beethovenstraße stadtbekannte
Rentner in der Wohnung seiner Enkelin ein. Neben ihm trottete ein bärenartiger Mischlingshund,
der auf den für eine Hündin ungewöhnlichen Namen ›Kurt‹ hörte und das genaue Gegenteil
eines wachsamen, scharfen Polizeihundes war. Kurt ging zu Tannenberg, holte sich
seine Streicheleinheiten ab und wich seinem Herrchen fortan nicht mehr von der Seite.
Jacob hatte
seinen grauen Bademantel übergeworfen und sah ziemlich zerknittert und verschlafen
aus. Doch geistig war er voll auf der Höhe. »Was wurde gestohlen?«, riss er sofort
die Ermittlungen an sich.
»Nix da,
Vater, halte dich zurück. Das ist mein Job«, bremste ihn Tannenberg aus. »Wer von
uns beiden ist denn hier der Kriminalbeamte?«
»Du«, gestand
Jacob ein. »Aber deiner Fahne nach zu urteilen hast du mindestens 1,5 Promille im
Blut und bist somit nicht diensttauglich«, entschied er kurzerhand und klopfte sich
auf die Brust. »Ich hingegen bin vollkommen nüchtern und folglich zu kriminalistischen
Höchstleistungen fähig.«
Tannenberg
schnaubte verächtlich, enthielt sich aber eines weiteren Kommentars.
Während
sein Sohn die Spurensicherung benachrichtigte, inspizierte Jacob fachmännisch die
Wohnungstür. Selbstverständlich ohne irgendetwas zu berühren, schließlich wollte
er den Kriminaltechnikern nicht die Arbeit erschweren. »Keine erkennbaren Einbruchsspuren«,
stellte der Hobby-Detektiv fest und zog eine naheliegende Schlussfolgerung: »Also
hat der Täter die Tür mit einem Dietrich geöffnet.«
»Oder mit
Mariekes Schlüssel«, bemerkte Max und informierte den Senior über den Handtaschendiebstahl.
Jacob knetete
nachdenklich das unrasierte Kinn. »Das wirft natürlich ein ganz anderes Licht auf
diese Sache. Dann ist der Einbrecher vom Dürkheimer Wurstmarkt hierher gefahren
und hat mit Mariekes Schlüsselbund …«
»Woher soll
er denn gewusst haben, wo Marieke wohnt?«, fiel ihm Tannenberg ins Wort.
»Hast du
besoffener Dödel schon einmal den Begriff ›Personalausweis‹ gehört, he?«, schnauzte
ihn Jacob an. »Da steht doch ihre Adresse drauf.«
Der Leiter
des K 1 räusperte sich verlegen und wandte sich an Max: »Hast du inzwischen einen
Überblick, was gestohlen wurde?«
»Ja, ich
habe natürlich gleich
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