Todesqual: Thriller
Labor geschickt worden. Allerdings handelte es sich dabei offenbar um einen schlechten Scherz mit rein dekorativer Funktion. Unter Brants Fingernägeln waren keine Spuren sichergestellt worden. Weder Handflächen noch Handgelenke wiesen Abwehrverletzungen auf. Auch das Auskämmen ihres Haares blieb ergebnislos. Das vorhandene Ejakulat reichte zwar für eine DNA-Analyse, aber bei der Untersuchung ihrer Vagina hatten sich weder Blutergüsse noch Risswunden gefunden.
Nichts deutete also darauf hin, dass Nikki Brant vergewaltigt worden war.
Lena unterstrich diesen Satz und blätterte dann zur nächsten Seite. Art Madina, der Gerichtsmediziner, hatte ihren Verdacht bestätigt, indem er Sonden in die Stichwunden eingeführt und Röntgenaufnahmen angefertigt hatte. Mordwaffe war ein Messer, welches in Form und Größe genau dem entsprach, das in der Spülmaschine der Brants entdeckt worden war. Jedoch war das Opfer letztlich trotz der Verletzung des rechten Lungenflügels nicht an dem Stich in die Brust gestorben, sondern an der Bauchwunde. Die dreißig Zentimeter lange Klinge war nach oben gezogen worden, hatte die Aorta durchtrennt und das Herz der jungen Frau durchbohrt.
Lena wandte sich ab und rang um Fassung. Da gerade sechs weitere Autopsien im selben Raum durchgeführt wurden, schlug ihr der Geruch nach Desinfektionsmittel und Verwesung entgegen wie eine Wand. Es war ein langer Tag gewesen. Lena nahm Maske und Schutzbrille ab, schlüpfte aus dem Kittel und ging hinaus, ohne die anderen anzusehen. Auf dem Flur standen aufgereiht Rollwagen mit Leichen, die warteten, bis sie an der Reihe waren. Einige waren in durchsichtiges Plastik gehüllt. Andere lagen, nackt bis auf einen Zettel am Zeh, da. Lena versuchte, nicht darauf zu achten, und marschierte weiter.
Der Aufzug ließ eine Ewigkeit auf sich warten. Die Neonröhren im Flur blinkten und surrten und tauchten die Wände in ein steriles Licht ohne Schatten. Endlich am Ausgang angekommen, versetzte Lena der Tür einen kräftigen Schubs und trat hinaus in die kühle Nachtluft. Sie überquerte den Parkplatz, setzte sich auf die Vortreppe des Nachbargebäudes und blickte, am Wachhäuschen vorbei, zur Straße. Ein Krankenwagen raste, begleitet von ohrenbetäubendem Sirenengeheul, die Mission Road entlang zur Universitätsklinik nebenan.
Wortlos ließ Novak sich neben ihr nieder. Lena starrte geradeaus. Die Szenerie erinnerte sie an einen Slum in einem Drittweltland, denn die Menschen, die hier auf der Straße herumlungerten, trugen Lumpen, sprachen kein Englisch und würden es auch nie lernen. Auf der anderen Straßenseite begann hinter einem Schnellrestaurant und einer Tankstelle ein düsteres, über und über mit Graffiti beschmiertes Gewerbegebiet. Etwa anderthalb Kilometer weiter ragte die wunderschöne Stadt namens Los Angeles aus dem Morast. Die Gebäude hoben sich funkelnd vom schwarzen Himmel ab. Rot und blau schimmernd und umschwirrt von weißen Lichtpunkten, den Scheinwerfern der Tausenden von Autos, die auf den Schnellstraßen im Stau standen. Wenn man es nicht unbedingt eilig hatte, war Los Angeles atemberaubend.
Lena kramte ein Papiertaschentuch heraus und wischte sich das Wick VapoRub von der Nase. Allerdings hatte sich der Geruch nach Tod, der überall im Gebäude herrschte, gegen die starken Metholdämpfe durchgesetzt. Der Gestank hatte etwas Hartnäckiges, das sich im Körper einnistete und nur schwer loszuwerden war. Obwohl Lena schon einige Autopsien miterlebt hatte, machte ihr der Geruch noch immer viel mehr zu schaffen als der Anblick. Tage vergingen, sodass man ihn schon fast vergessen hatte. Und dann, eines Morgens, nieste oder hustete man nach dem Duschen, und da war er wieder, die Witterung des Todes, die sich in der Kehle festsetzte, verborgen zwar, doch stets zum Schmecken nah.
»Gib mir eins von den Dingern«, sagte Novak.
Lena reichte ihm ein Papiertaschentuch und beobachtete, wie er sich das Gel von den Nasenlöchern wischte.
»Kennst du dich mit Würgespielchen aus?«, fragte er.
»Meinst du wegen der Tüte über ihrem Kopf?«
»Die Küchenschublade war voll davon«, fuhr er fort. »Ein unerschöpflicher Vorrat.«
Novak klappte sein Mobiltelefon auf, tippte eine Nummer ein und schaltete auf Lautsprecher. Rhodes nahm ab, bevor sie ein Klingeln gehört hatten.
»Tito und ich sind noch am Tatort«, meldete er. »Das Haus ist versiegelt.«
»Wie macht sich Brant?«, erkundigte sich Novak.
»Den Umständen entsprechend. Er ist noch
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