Todesqual: Thriller
dass es sich um eine schlechte Nachricht handelte und dass die Überbringer Polizisten waren, stand den jungen Leuten ins Gesicht geschrieben. Sie drehte sich wieder zu Gish um, die unruhig auf ihrem Stuhl herumrutschte. Die Dozentin hatte hellbraunes Haar mit grauen Strähnen, das sie in einem lockeren Pferdeschwanz trug. Ihr Gesicht war weich und rund. Um Augen und Mund hatte sie Lachfältchen. Als Lena Novak ansah, nickte er bedächtig und zog Notizbuch und Stift aus der Tasche.
»Der Student am Empfang hat uns erzählt, Sie und Ms. Brant seien nicht nur Kolleginnen, sondern auch privat befreundet gewesen«, begann Lena.
»Ja, das stimmt«, erwiderte Gish.
»Hat sie je Probleme mit einem Studenten oder einem anderen Dozenten erwähnt?«
»Alle mochten Nikki. Sie gehörte zu unseren beliebtesten Mitarbeitern.«
»Und Sie beide standen sich nah«, sagte Lena. »Sie hat sich Ihnen anvertraut.«
»Ja.«
»Worüber haben Sie denn so geredet?«
Als Gish sie ansah, war ihr der Zorn deutlicher anzumerken als zuvor. »Ihren Mann«, antwortete sie. »Wir haben meistens über ihn gesprochen.«
»Gab es da Schwierigkeiten? Ihr Mann hat die Ehe als perfekt bezeichnet.«
»Ist das Ihre Wortwahl oder seine?«
»Seine«, entgegnete Lena. »Ich habe ihn wörtlich zitiert.«
Gish rutschte weiter auf ihrem Stuhl herum und dachte nach. Offenbar tat sie sich mit der Entscheidung schwer.
»Nikki wollte eine Familie gründen. Er nicht«, sagte sie schließlich.
»Also haben sie deswegen gestritten.«
Gish nickte. »Nikki war Waise. Sie wünschte sich Kinder und wollte so gerne Mutter werden. Es war sehr wichtig für sie.«
»Streit kommt in den besten Ehen vor. Was wollen Sie mir damit mitteilen?«
»Ich bin seit zehn Jahren verheiratet«, erwidete Gish. »Es war mehr als nur Streit. Er machte ihr Angst. Nikki fürchtete sich vor ihm.«
»Hat er sie geschlagen?«
»Ich bin nicht ganz sicher. Vor etwa drei Monaten habe ich an ihrem Arm oberhalb des Ellenbogens einen Bluterguss bemerkt. Als ich sie danach fragte, behauptete sie, sie sei gestürzt.«
»Haben Sie ihr geglaubt?«
»Damals habe ich mir nicht viel dabei gedacht. Inzwischen jedoch habe ich Zweifel. In der Ehe musste alles nach seinem Willen gehen. Sie hat die zweite Geige gespielt. Zumindest hatte ich diesen Eindruck.«
»Haben Sie jemals weitere Verletzungen bemerkt?«
»So, wie sie sich normalerweise anzog, hätte sie welche haben können, ohne dass ich es gesehen hätte.«
»War sie öfter krankgeschrieben?«
»Nikki liebte ihren Beruf. Soweit ich mich erinnere, hat sie nie ein Seminar ausfallen lassen.«
Nach einem Blick auf Novak holte Lena eine Blanko-Visitenkarte aus der Tasche, schrieb ihren Namen und ihre Telefonnummer darauf und reichte sie Gish.
»Kann sich die Polizei denn keine richtigen Visitenkarten für ihre Detectives leisten?«, meinte Gish.
Lena zuckte mit den Achseln. »Ich hätte da noch eine Frage.«
Die Frau nickte und steckte Lenas Karte ein.
»Hat Ms. Brant selbst gesagt, dass sie sich vor ihrem Mann fürchtete, oder ist das Ihre Auslegung?«
Gish sah Lena in die Augen. Ihre Züge wurden hart. »Das ist ein wörtliches Zitat.«
»Wann hat sie es denn gesagt?«
»Vor drei Tagen. Nachdem sie einen Termin bei der Frauenärztin vereinbart hatte. Ich war in ihrem Büro, als sie den Hörer auflegte.«
Lena versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Wissen Sie zufällig, wie diese Frauenärztin heißt?«
Gish nickte und senkte, unfähig zu sprechen, den Kopf. Die Erkenntis, was ihrer Freundin zugestoßen sein könnte, schien über das Gebäude und das Tal hinwegzustreichen wie ein Schwarm schwarzer Krähen.
Es war zwar nur so eine Idee, schien jedoch die fünfzehnminütige Fahrt nach South Pasadena wert zu sein. Novak grübelte schweigend vor sich hin. Die Reisebroschüren zu seinen Füßen waren vergessen. Wenn Lena seinen Gesichtsausdruck richtig deutete, dachte er im Moment weder über Idaho und Seattle noch über Tomaten mit Flundergenen nach.
Die Pause war vorbei. Novak war zwar Polizist, aber auch Vater von drei Töchtern.
Nach der Ampel am Orange Grove Boulevard bog Lena links in die Mission Avenue ein. Drei oder vier Querstraßen weiter erkannte sie das Gebäude gegenüber einem Buchladen und stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab. Elvira Gish wusste deshalb, wer Nikkis Frauenärztin war, da sie ebenfalls zu ihr ging. Die Praxis war nicht weit von ihrem Arbeitsplatz entfernt. Außerdem gab es hier unweit des
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