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0562 - Die Zeit der Reptilien

0562 - Die Zeit der Reptilien

Titel: 0562 - Die Zeit der Reptilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Menem-Set begann zu zittern. Niemals hatte er damit gerechnet, einem der Götter selbst zu begegnen. Sobek, der Krokodilköpfige, der Herr der Fluten und der Fruchtbarkeit, bewegte sich durch den Tempel!
    Sicher - schon oft hatte er die Götter gesehen. Von weitem, wenn er an den Feiertagen draußen auf dem großen Platz stand und wie die anderen Menschen hinaufschaute zu den Priestern, die die Götter beschworen und von ihnen den König und das Land segnen ließen. Manchmal auch in Abydos, wenn einmal im Jahr die Mysterienspiele inszeniert wurden, in denen die Ermordung des Osiris durch Seth und seine Wiedererweckung durch Isis nacherlebt werden konnten.
    Doch Menem-Set war schlau genug, um zu wissen, daß es sich dabei um Menschen handelte, um Spieler und Tänzer, in die nur die Geister der Götter schlüpften.
    Einem leibhaftigen Gott zu begegnen was etwas völlig anderes.
    Plötzlich verharrte Sobek.
    Der Reptilköpfige wandte sich um. Ganz langsam drehte er den furchtbaren Schädel mit den kleinen, aufglühenden Augen in Richtung der Nische, in der Menem-Set in der Dunkelheit zitterte.
    Sobek hatte den Dieb entdeckt!
    Menem-Set verwünschte seinen Leichtsinn. Er hatte den blauen Sternenstein stehien wollen. Niemandem zuvor war es gelungen. Alle, die diesen Plan gefaßt hatten, waren nicht einmal so tief in den Tempel hineingelangt wie nun Menem-Set, der als Meisterdieb in die Legenden von El-Amra eingehen wollte.
    Doch jetzt war Menem-Set entdeckt worden.
    Von Sobek selbst!
    Und Sobek streckte eine Hand aus.
    Deutete genau auf den Mann im Schatten, den niemand hätte sehen können. Niemand, der nicht ein Gott war!
    Menem-Set schrie auf.
    Er wollte nicht sterben!
    Nicht hier, nicht jetzt, nicht so! Er wollte nicht von den Krokodilen der Himmelsrichtungen zerrissen werden! Er wollte in das Reich des Osiris gelangen!
    Es war Wahnsinn, was er tat, doch er zerrte das Messer hervor. Er führte es immer bei sich, wenn er in den Nächten unterwegs war, um zu stehlen.
    Jetzt schnellte er sich auf den Gott Sobek, stieß einfach zu!
    Etwas Unsichtbares packte ihn. Er fühlte noch, daß die Klinge etwas traf, aber im nächsten Moment glaubte er, sein Innerstes würde nach außen gekehrt!
    Er kreischte vor Schmerz und verzweifelter Todesangst!
    Sehen konnte er nichts mehr - grellrot flammte es vor seinen Augen auf, und er wußte, daß es sein eigenes Blut war, das er in Re-Atons Licht sah, das Sobek herbeigerufen hatte, um die Nacht zum Tage zu machen.
    »Du hast Mut«, vernahm er eine knarrende Stimme.
    Sprach so Osiris, der Herr im Totenreich?
    Aber Menem-Set konnte nicht tot sein, denn der Schmerz wühlte immer noch furchtbar in ihm, und er glaubte, Krokodilschnauzen würden in seinem Leib wühlen und ihm das lebende Fleisch von den Knochen fressen.
    »Wer bist du, kleines Menschlein?« knarrte die Stimme wieder, unterlegt von heftigem Schmatzen.
    Plötzlich konnte Menem-Set wieder sehen. Über ihm stand der Gott und starrte zornig auf ihn herab.
    Menem-Set wand sich. Er wollte davonkriechen, aber etwas Unsichtbares hielt ihn fest.
    Der Ägypter schloß wieder die Augen. Seine Sinne schwanden ihm.
    Er hörte Sobek noch etwas sagen, verstand die Worte jedoch nicht mehr.
    Die Nacht nahm ihn auf…
    Die lange, finstere Nacht…
    ***
    Irgendwann später erwachte er wieder, und er wußte nicht, warum er noch lebte. Er lag am Nilufer und roch das Wasser.
    Erschrocken sprang er auf - suchte das Wasser und das Ufer nach Sobeks schuppigen Kindern ab. Doch nirgendwo trieb ein Krokodil auf dem nächtlichen Fluß dahin oder wartete am Ufer auf Beute.
    Bei Nacht schlafen Sobeks Kinder, erinnerte sich Menem-Set.
    Aber Sobek selbst hatte nicht geschlafen. Er war durch die Tempelhallen gewandelt. Er hatte den Dieb entdeckt, der nicht begriff, wie er jetzt ans Nilufer gelangt war und weshalb er überhaupt noch lebte. Er war nicht einmal verletzt.
    Du hast Mut, hatte Sobek zu ihm gesagt.
    Hatte der Gott, der Beschirmer des Nil, ihm deshalb das Leben geschenkt? Oder befand Menem-Set sich nun doch in der Obhut des Osiris?
    Dann jedoch war dessen Reich dem Al-Amra der Sterblichen so unglaublich ähnlich, daß der Dieb auf den ersten Blick keinen Unterschied feststellen konnte.
    Nein, das Totenreich mußte anders sein. Es mußte sich von der Welt der Lebenden unterscheiden!
    Neben Menem-Set lag sein Messer.
    Er bückte sich, hob es auf.
    An der Klinge klebte Blut, aber auch noch etwas anderes.
    Später, als der neue Tag längst begonnen hatte,

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