Todesqual
als Ihr Bildschirm«, sagte sie. »Können Sie die Mitglieder nach Städten und Bundesstaaten sortieren?«
»Klar kann ich das. Ich habe das dämliche Programm schließlich geschrieben.«
Wenige Sekunden später war die Liste wieder auf dem Bildschirm zu sehen. Während Burell sie hinunterblätterte, stellte Lena erstaunt fest, wie viele Benutzer aus Asien und dem Nahen Osten stammten. Von den siebenundfünfzig Männern wohnten nur drei in der pazifischen Zeitzone. Als sie einen Teilnehmer aus Los Angeles entdeckte, verglich sie die Nutzungszeit mit der, die sie sich notiert hatte.
Es passte genau. Lena las den Namen.
Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es sich nicht um einen Mann, sondern um eine Frau handelte. Lena schrieb die Daten ab. Wenn die Adresse stimmte, wohnte Avis Payton in Marina Del Rey.
27
D er Teppich war fadenscheinig. Die schmutzigen Wände schrien nach mindestens zwei Schichten Farbe. Raschen Schrittes folgten Lena und Novak dem gedämpften Konservengelächter
einer Fernsehkomödie bis zu Avis Paytons Wohnungstür. Novak läutete. Da die Klingel nicht funktionierte, klopfte er mit der flachen Hand an. Kurz darauf verdunkelte sich der Spion, als jemand von innen das Auge daran hielt.
»Wer ist da?«
»Polizei, Ms. Payton«, antwortete Novak. »Wir würden gern mit Ihnen sprechen.«
»Können Sie sich ausweisen?«
Novak hielt seine Dienstmarke an den Spion. Es dauerte eine Weile, bis der Riegel zurückgeschoben wurde und Avis Payton in Sicht kam. Sie trug einen flauschigen Jogginganzug.
»Wie sind Sie überhaupt reingekommen?«
»Es ging gerade jemand raus«, erwiderte Lena.
»Tja, dann ist heute offenbar Ihr Glückstag«, entgegnete Payton. »Eintreten auf eigene Gefahr. Ich bin nämlich krankgeschrieben, weil mir übel ist und ich mich ständig erbrechen muss.«
Ohne sie nach dem Grund ihres Besuchs zu fragen, machte die junge Frau Platz und steuerte auf das Sofa zu, wo eine Wolldecke lag. Lena folgte Novak ins Wohnzimmer. Vom Balkon aus hatte man eine malerische Aussicht auf den Jachthafen auf der anderen Seite des Fahrradwegs.
Payton griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. »Verzeihung, ich habe Sie nicht einmal gefragt, was Sie wollen. Ich bin nicht ganz klar. Offenbar habe ich mir irgendein Magen-Darm-Virus eingefangen. Setzen Sie sich. Falls ich plötzlich aufs Klo muss, sage ich Bescheid.«
Da sie Payton auf der Hinfahrt überprüft hatten, kannte Lena ihr Alter und wusste, dass sie nicht vorbestraft war. Auf den ersten Blick wirkte die Frau unverdächtig. Ihre Ausdrucksweise ließ auf Schulbildung schließen. Das Haar trug sie kurz und zu einem unnatürlichen Rotton gefärbt,
der an Kastanienbraun-Metallic erinnerte. Sie war zierlich gebaut, ohne mädchenhaft zu wirken. Trotz der dunklen Ringe unter den Augen strahlte sie etwas Energisches aus. Doch am meisten wunderte Lena, wie ruhig die Frau war. Während die meisten Menschen über einen Besuch der Polizei erschraken, schien Avis Payton eher erleichtert zu ein.
Warum?
Lena sah sich in der kleinen Zweizimmerwohnung um, die spärlich möbliert, aber sauber war. Als Lena sich umdrehte, stellte sie fest, dass Novak nach seinem Piepser griff und das Display musterte.
»Es ist Barrera«, verkündete er. »Ich muss ihn zurückrufen.«
Die Schiebetür war mit einem Riegel versehen. Novak entfernte ihn, öffnete die Tür und trat auf den Balkon hinaus. Während er sein Mobiltelefon aufklappte, wandte Lena sich wieder an Payton.
»Sind Sie schon lange krankgeschrieben?«
»Es hat mich am Wochenende erwischt. Hoffentlich kann ich morgen wieder zur Arbeit. Ich bin Kontenbetreuerin bei der Werbeagentur MBC. Wir verwalten das Anzeigengeschäft für Zeitungen und Zeitschriften. Dienstags geht es bei uns immer rund, weil alles für die Sonntagsausgaben der Zeitungen fertig werden muss. Also bleibt mir gar nichts anderes übrig, als mich ins Büro zu schleppen.«
»Darf ich Sie Avis nennen?«
»Klar.«
»Haben Sie einen Freund, Avis?«
Die Frau grinste verlegen. »Worum geht es?«
Allerdings wollte Lena ihr das nicht verraten. Zumindest noch nicht. Erst wenn sie sich ein genaueres Bild von der Frau gemacht hatte.
»Ich habe nur so gefragt. Es sieht aus, als ob Sie allein wohnen.«
Offenbar beruhigt, kuschelte Payton sich in die Decke. »Ich bin solo, seit ich nach Kalifornien gezogen bin.«
»Wann war das?«
»Es ist ein bisschen peinlich.«
»Mich schockiert man nicht so leicht«,
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