TodesReich/Todesengel (German Edition)
mit vor den Fernseher.
Er schaufelte die Brocken in sich hinein und verbrannte sich dabei mehrmals die
Zunge. Zur Abkühlung goss er ein Glas Rotwein hinterher. Lustlos begann er
durch die Programme zu zappen, blieb kurz bei einem Städtequiz hängen und ließ
sich schließlich von einer Naturdokumentation einlullen.
Er war
schon in einem Dämmerzustand, als plötzlich das Telefon klingelte. Beim Aufstehen
übersah er den Teller, der immer noch auf seinem Schoß stand. Er fiel klirrend
zu Boden, zerbrach aber nicht, weil er von seinem Fuß abgefedert wurde.
Fluchend hüpfte er kurzzeitig auf einem Bein herum, bevor er seine Wut auf das
Telefon kanalisierte und den Hörer heftig von der Feststation riss.
„Jaaa,
Kowalski! Wer denn?!“
„Ja
hier Steffen Weitzeger. Alles klar, Herr Kommissar? Sie klingen so
aufgebracht.“
Diesmal
hätte er es getan. Diesmal hätte er ihn erschossen. Aber am Telefon ging das so
schlecht. Stattdessen versuchte er ihn im wörtlichen Sinne zu Tode zu
telepathieren.
„Weitzeger,
wissen sie wie spät es ist?“
„21.30
Uhr würde ich sagen.“
„Was
rufen sie hier an? Bin ich die Seelsorge?!“
„Ich
hab da so eine Idee.“
„Ich
auch, aber sie würden sie nicht überleben!“
„Ich
hab gerade einen Bericht im Fernsehen gesehen. Über einen verschwundenen Jungen
in Moers.“
„Na
und?“
„Er
ist seit letzte Woche für vermisst gemeldet. Könnte doch etwas mit unseren Fall
zu tun haben, oder?“
„Könnte,
könnte...es wird ständig irgendjemand vermisst. Moers ist 50 Kilometer von uns
entfernt.“
„Die
haben keinerlei Anhaltspunkte, was passiert sein könnte.“
„Dann
ist die einzige Gemeinsamkeit die Unfähigkeit der Polizei dort und hier, dachte
er, sagte aber stattdessen: „Es gelten laufend 200 Personen in Deutschland als
vermisst. Ob ausgerissen, eingesperrt, ermordet, keiner weiß es.“
„Vielleicht
ein gut organisierter Serienkiller.“
„Behalten
sie ihre Gehirnfürze für sich.“ Damit legte er auf und schmiss sich wieder vor
den Fernseher, aber er kam nicht wieder zur Ruhe. Dieser junge Balg. Anfang 20.
Er würde ihn bis zu seiner Rente ertragen müssen. Wenn er diese überhaupt
erreichen würde. Herr im Himmel, was bist du nur für ein Sadist, dachte er.
Am
nächsten Morgen kam er pünktlich um Acht an seinen Arbeitsplatz, Weitzeger war
aber schon da. Er hatte Kaffee mitgebracht. Nicht den billigen Instantkaffee
oder „Inzestkaffee“, wie Kowalski ihn manchmal nannte, sondern frischen aus dem
Coffeeshop. Scheinbar als wieder Gutmachung. Es freute ihn aber nicht, sondern
es ärgerte ihn, dass sein Kollege vor ihm da war. Ein unzuverlässiger Kollege
warf ein besseres Bild auf die eigene Arbeitsmoral und umgekehrt. Trotzdem nahm
er den Kaffee dankend entgegen.
„Sie
werden bald keine Muse mehr für Nettigkeit besitzen“, sagte er schließlich.
„Der
Job reibt einen mächtig auf und bald bewerten sie ihre Umgebung nur noch nach
Täter und Opfer.“
Weitzeger
störte sich nicht an derartigem Gerede seines Kollegen. Er wusste, dass es
seine harte Schutzmauer war. Es gab Leute, bei denen galt es als Kompliment,
wenn sie etwas schweigend hinnahmen und sich nicht beschwerten.
Sie
tranken ihre Becher aus und machten sich dann auf den Weg zur Schule. Vorher
bat Brockmann Steffen Weitzeger aber noch mal in sein Büro.
Scheiße,
überkam Kowalski eine plötzliche Panik. Der wird ihn doch nicht über seine
bisherigen Erfahrungen mit mir ausfragen? Stattdessen kam Weitzeger aber wenig
später schelmisch grinsend aus dem Büro seines Vorgesetzten und präsentierte
seine Dienstwaffe samt Waffengürtel an der Hose. Jetzt wäre es nicht mehr so
einfach ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen...
Sie
kamen kurz vor acht an der Schule an. Zahlreiche Schüler strömten zu den
Eingängen, andere begaben sich widerwillig vom Pausenhof ins Innere des
Schulgebäudes. Weitzeger und Kowalski beschritten den Weg, den man ihnen
gestern schon gewiesen hatte. Sie klopften kurz an der Tür des Sekretariats und
traten dann ein.
„Morgen“,
sagte Kowalski zu der Frau hinter dem hüfthohen Tresen, einer unscheinbaren
Erscheinung mit schwarzen Locken.
„Wir
sind von der Kripo Bochum.“ Sie hielten ihre Ausweise hoch.
„Wir
würden gerne mit den Personen sprechen, die vorgestern Nadja Stegner gesehen
haben.“
Die
Frau nickte nur. Offensichtlich hatten die Eltern des Mädchens schon ordentlich
Wind gemacht. Klar, das war die erste sinnvolle
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