Todesspur
sähe ja aus, als wollte sie ihm einen Wink mit dem Zaunpfahl geben. Was wahrhaftig nicht zutrifft. Nein, je öfter sie zu Hochzeiten eingeladen wird, desto weniger denkt sie selbst ans Heiraten, da ist sie ganz d ’ accord mit Oda, die zu sagen pflegt: »Was gibt es da zu feiern? Die Ehe ist die letzte legale Form der Sklaverei.«
Jule ist nicht einmal mehr sicher, ob sie sich überhaupt jemals wieder auf die Liebe und diesen ganzen Zirkus einlassen möchte. Es ist doch ohnehin immer wieder dasselbe: erst die Sehnsucht nach Nähe, dann das zähe Ringen, um sie aufzubauen, und schließlich das Problem, sie auch auszuhalten.
Sie fängt ein Lächeln von Fernando auf. Er sieht gut aus da oben, vor dem Altar, in seinem neuen Anzug und der Fliege um den Hals. In der ersten Reihe thront Pedra Rodriguez in feierlichem Schwarz und wischt sich schon die ganze Zeit die Tränen von den Wangen. Die Braut trägt ein schlichtes, cremefarbenes Kleid, ihr Haar ist kunstvoll hochgesteckt und mit kleinen Perlen verziert. Jule findet sie atemberaubend schön.
Während sie auf den Beginn der Zeremonie wartet, schweifen ihre Gedanken umher und landen irgendwie bei Stella alias Heidrun Bukowski. Gestern hat sie auf der Dienststelle angerufen und Jule dafür gedankt, dass sie ihr mit dem Schriftverkehr, der mit Nikos Tod einherging, geholfen hat. Besonderes Augenmerk galt natürlich der Lebensversicherung.
»Was werden Sie jetzt mit dem Geld machen?«, hat Jule gefragt und gedacht: Außer, die Kohle zu versaufen. Aber dann hat sie ihren Gedanken sogleich bereut, denn Stella, die recht nüchtern klang, hat ihr voller Begeisterung mitgeteilt, dass sie eine Tanzschule eröffnen werde. »Für erotischen Tanz. Striptease oder Burlesque, wie man das heutzutage nennt.« Einen Raum dafür habe sie schon angemietet. Und sie, Jule, würde dieser Tage einen Gutschein für zwölf Gratis-Unterrichtsstunden von ihr erhalten. Jule war gerührt und hat sich artig dafür bedankt. Das fehlte noch, Burlesque ! Aber sie könnte den Gutschein ja aufbewahren und ihn bei der nächsten Hochzeit an die Braut verschenken, denkt sie nun und muss dabei grinsen.
»Wie geht es Ihrem Kater?«, hat sie Stella noch gefragt.
»Wird immer fetter!«
»Also haben Sie ihn doch behalten.«
»Das Vieh hat mir immerhin das Leben gerettet«, hat Stella geantwortet. »Und jetzt kann ich sein Fressen ja wieder bezahlen.«
So ist der Fall wenigstens für einen Beteiligten gut ausgegangen, denkt Jule jetzt und ihre Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf die Geschehnisse vor dem Altar. Der Pfarrer hat seine Ansprache beendet, die Hochzeitsgesellschaft reckt die Hälse, es naht der entscheidende Moment: die Schwüre, der Spruch mit den guten und den schlechten Tagen, das endgültige »Ja«. Pedra Rodriguez heult Rotz und Wasser, der Pfarrer erteilt allen den Segen, und angeführt von den frisch Getrauten quillt die Menge ins Freie. Reis fliegt herum, Fotos werden gemacht. Jule hat sich geschworen, dieses Mal auf keinen Fall in die Flugbahn des Brautstraußes zu geraten. Ihn zu fangen – oder fallen zu lassen – gäbe nur Getuschel in der Dienststelle, und das gibt es ohnehin schon genug, seit durchgesickert ist, dass sie sich ab und zu mit dem neuen Staatsanwalt trifft. Dabei weiß sie selbst noch nicht, wohin das führen wird, und sogar Oda ist ausnahmsweise einmal zurückhaltend und gibt weder ein Urteil noch eine Prognose ab.
Der Blumenstrauß segelt durch die Luft, eine junge Frau aus Antonios Verwandtschaft fängt ihn auf, was dort für helle Begeisterung sorgt.
Dann lässt Antonio das Gas aufheulen, und er und Jamaina brausen im offenen Alfa Spider davon.
Jamainas Sohn winkt ihnen nach. Er steht neben Fernandos Neffen Rico. Die beiden scheinen sich gut zu verstehen und sehen so aus, als würden sie heute noch eine Menge Unsinn anstellen. Die Hochzeitsfeier soll in Pedras frisch renoviertem Laden stattfinden, vorher geht es für das Brautpaar aber noch in den Maschpark, zum Fotografieren. Es bleibt also genug Zeit für letzte Vorbereitungen, dennoch ist Pedra Rodriguez schon nervös. »Auf jetzt, Fernando, wir müssen in den Laden, sonst kommen die Gäste, und nichts ist fertig!«
Aber Fernando hat es nicht eilig, er flirtet mit der weiblichen Verwandtschaft des Bräutigams.
Pedra gesellt sich zu Jule. »Ich bin so wütend! Fernando hätte da oben stehen können, wenn er sich nur ein bisschen mehr Mühe gegeben hätte.«
»Er stand doch da oben.«
»Aber nur als
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