Todesträume am Montparnasse - Ein Fall für Kommissar LaBréa
Jean-Marc und Claudine da sind, steigt die Talkrunde. Kommen Sie dann gleich alle in mein Büro.«
Bei der Suche nach dem Ursprung der Aufnahme des Boléro hatte ihnen das Glück in die Hände gespielt.
»Ich hatte schon gedacht, es würde Tage, wenn nicht Wochen dauern, etwas Konkretes herauszubekommen«, sagte Jean-Marc. Auch heute trug er wieder schrille Kleidung. Besonders der gelb-schwarz gestreifte Pullover war nicht zu übersehen. »Aber Gilles hat gestern gleich die großen Musiklabels kontaktiert, die für Klassik infrage kommen: Sony, Emi, Decca, Deutsche Grammophon und so weiter. Es ist kaum zu glauben, aber die Aufnahme ist 1997 bei Sony Classical erschienen. Sony France hat seinen Sitz hier in Paris. Gilles hatte mehrere Kopien des Musikausschnitts anfertigen lassen, und eine wurde gleich zur Pariser Zentrale gebracht. Fragen Sie mich nicht, wie die das so schnell geschafft haben, die Identität der Aufnahme zweifelsfrei festzustellen. Jedenfalls handelt es sich um eine CD mit den New Yorker Philharmonikern unter der Leitung von Leonard Bernstein. Der Mörder hat sein Tape von dieser CD kopiert.«
»Und?«, fragte Franck skeptisch. »Bringt uns das jetzt wirklich weiter? Diese CD kann doch vermutlich jeder im Land kaufen.«
»Ob uns das weiterbringt, müssen wir sehen«, meinte LaBréa. »Haben Sie sich gestern in der Kneipe am Montmartre umgehört, Jean-Marc?«
»Ja, aber nichts Wesentliches erfahren, sonst hätte ich mich bei Ihnen gemeldet. Masson und Blanc kamen gegen Mitternacht in das Lokal und bestellten sich gleich Hochprozentiges, Wodka. Den haben sie wahrscheinlich den ganzen Abend über in sich reingeschüttet.
Sie seien ziemlich betrunken gewesen, meinte der Wirt. Sonst ist ihm nichts aufgefallen.«
»Kannte der Wirt die beiden?«
»Er sagte, nein. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er gelogen hat. Ein undurchsichtiger Typ. Die ganze Kneipe ist undurchsichtig. Ich habe im Drogendezernat nachgefragt: Die letzte Razzia liegt zwei Wochen zurück. Nichts. Wenn da Drogengeschäfte laufen, dann so, dass man den Leuten nicht auf die Schliche kommt.«
»Vielleicht haben sie einen Informanten im Drogendezernat«, sagte Franc sarkastisch. »Bei den schmalen Gehältern der Polizei würde mich das nicht wundern. Kleiner Tipp und schnelles Geld.«
Claudine stand auf. Sie wirkte nervös und hatte noch kein Wort gesagt.
»Ich sehe mal nach, ob Den Haag sich schon gemeldet hat«, bemerkte sie. »Sonst rufe ich da noch mal an.« Sie verließ das Büro.
In dem Moment rief Valdez an und teilte LaBréa mit, dass ein Fax aus Den Haag angekommen sei.
»Claudine ist schon auf dem Weg«, erwiderte LaBréa.
Eine Viertelstunde später kam Claudine zurück. »Ein ellenlanges Fax aus Den Haag und ein Volltreffer«, sagte sie atemlos. »Ich hab’s gerade durchgelesen. Wir haben endlich Stephane Blancs Identität! Der Mann wird seit acht Jahren vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal
gesucht. Eine Suchanfrage ist schon vor Jahren auch bei unseren Behörden eingegangen - unter dem richtigen Namen des Mannes: Stefan Vlankovic.« Claudine warf einen Blick auf das mehrseitige Fax und fuhr fort. »Stefan Vlankovic, ein bosnischer Serbe, wurde am 17. Oktober 1965 in Foča geboren. Das ist eine Stadt im Südosten Bosniens, die bei Ausbruch des Krieges etwa vierzigtausend Einwohner zählte, davon einundfünfzig Prozent Muslime. Nach der Schulzeit absolvierte Vlankovic seinen Militärdienst. Mit einundzwanzig Jahren meldete er sich zur Miliz und kam zurück in seine Heimatstadt. Als serbisches Militär und paramilitärische Kräfte mit den ethnischen Vertreibungen begannen, war er an vorderster Front dabei. Im April 1992 wurde Foča eingenommen und unter serbische Herrschaft gestellt.
Während die männlichen muslimischen Einwohner in andere Lager verschleppt oder gleich ermordet wurden, richteten die serbischen Besatzungstruppen überall in der Stadt Vergewaltigungslager ein. In der Sporthalle, im örtlichen Gymnasium, in Buk Bijela am Ufer der Drina, dem Hauptquartier der serbischen Soldaten und Paramilitärs. Frauen und Mädchen wurden hier oft über Wochen und Monate systematisch vergewaltigt. Die Vergewaltigungen fanden nicht nur in den provisorisch eingerichteten Lagern der Stadt statt. Nacht für Nacht verschleppten Gruppen von Soldaten die Frauen auch in leer stehende Häuser und
Wohnungen. Viele der Opfer haben diese Folterungen nicht überlebt.
Im Oktober 1999 wurde gegen einige der
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