Todesträume am Montparnasse - Ein Fall für Kommissar LaBréa
wir zwar eine ganze Menge über die Lager und die Hilfsmaßnahmen damals, haben aber immer noch keine Namen von Opfern. Im Grunde genommen sind wir genauso schlau wie vorher.«
Das Telefon auf LaBréas Schreibtisch klingelte.
LaBréa nahm den Hörer ab. Es war Ermittlungsrichter Couperin. LaBréa informierte ihn über den Besuch bei Christine Payan und brachte sein Anliegen vor. Couperin gab einige nachdenklich klingende Laute von sich.
»Ah, hm, ja, ich verstehe, dass uns eine telefonische Überwachung eventuell weiterbringt. Aber Sie
kennen ja meine Einstellung, LaBréa. Es muss ein begründeter Tatverdacht vorliegen. Und? Liegt der vor? Soweit ich sehe, nicht. Dass diese Psychologin den Namen des Mörders kennen könnte , ist kein Beweis. Aber vielleicht finde ich ein Schlupfloch im Gesetz. Ich bespreche das mal mit dem Gerichtspräsidenten. Ich weiß aber nicht, ob ich den heute noch erreichen kann. Sie hören dann wieder von mir.«
Kaum hatte er den Hörer aufgelegt, klingelte Francks Handy.
»Hallo?«, sagte der, als er das Gespräch annahm. Dann geriet er beinahe ins Stottern. »Ja … nein, Sie stören nicht. Moment, ich bin gerade in einer Besprechung. Ich gehe nur kurz raus.«
Er stand auf und sagte hastig zu LaBréa: »Was Privates. Ich bin gleich wieder zurück.«
Er verließ den Raum.
Jean-Marc grinste bedeutungsvoll. »Das scheint ja eine richtig ernsthafte Sache zu sein, Francks neue Liebe. Gestern geht er mit ihr essen, und heute …« Er beendete seinen Satz nicht.
Gleich darauf kam Franck wieder ins Büro. Er machte einen zufriedenen Eindruck und warf seinen beiden Kollegen einen verstohlenen Seitenblick zu.
Hat es doch noch mit einer Verabredung am heutigen Abend geklappt?, fragte sich LaBréa. Am Morgen hatte es ja noch so ausgesehen, als hätte Dr. Clément ihm für heute einen Korb gegeben. Aber vielleicht war es gar nicht Dr. Clément, die angerufen hatte?!
Als ahnte Jean-Marc die Gedanken seines Chefs, fragte er Franck unverblümt: »Na, hat sie nun doch auf einmal Zeit, heute Abend mit dir ins Kino zu gehen?«
Franck blickte ihn von oben herab an. »Wenn du’s genau wissen willst, ja.« Er wandte sich an LaBréa. »Vorausgesetzt natürlich, Sie können mich heute Abend entbehren, Chef.«
»Das weiß ich noch nicht«, meinte LaBréa kurz angebunden. »Warten Sie es doch ab. Jetzt ist es ja noch nicht mal drei Uhr.«
LaBréa lehnte sich im Stuhl zurück und legte seine Hände auf die Schreibtischplatte.
»Rekapitulieren wir mal, was wir alles haben. Wir wissen, dass Vlankovic und Masson 1992 in Bosnien Kriegsverbrechen an Frauen begangen haben und dass hier vermutlich das Motiv zu den Morden zu suchen ist. Ferner wissen wir, dass Christine Payan sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Bosnien aufgehalten und vergewaltigte Frauen psychologisch betreut hat. Des Weiteren wissen wir, woher die Aufnahme des Boléro stammt, die der Täter auf Kassetten am Tatort hinterlässt. An harten Fakten ist das auch schon alles.«
»Aber andere Dinge kommen hinzu, Chef«, warf Franck ein. »Vergessen wir nicht diese Motorradlesben. Sie wohnen in unmittelbarer Nähe des zweiten Tatorts, der alten Spinnerei.«
Jean-Marc schüttelte den Kopf. »Es gibt keinen Beweis, dass sie mit den Morden zu tun haben, Franck.«
»Stimmt. Aber nimm doch jetzt mal alles zusammen: Erstens: Diese Sprayerfrauen verpassen Vergewaltigern einen Denkzettel, indem sie deren Geschlechtsteile mit Farbe besprühen und sie damit quasi symbolisch kastrieren. Zweitens: Die Spur führt unter anderem zu Christine Payan, die Kontakt zu diesen Frauen hat und über die Sprayeraktionen auf dem Laufenden ist. Drittens: Wir haben zwei Fälle von tatsächlicher Kastration, zwei brutale Mordfälle. Viertens: Die Spur der beiden Opfer, Masson und Vlankovic, führt nach Bosnien, wo die beiden sich schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben. Fünftens: Christine Payan hält sich gleich nach Ende des Krieges in Bosnien auf und betreut einige Opfer dieser Kriegsverbrechen.« Er hielt einen Moment inne und sah seine Kollegen bedeutungsvoll an. »Das soll alles nur Zufall sein?«
»An dem, was Sie sagen, ist sicher etwas dran«, bemerkte LaBréa. »Doch wo ist die Verbindung? Ich hoffe, dass Christine Payan uns die Antwort liefert, und ich hoffe, dass wir auf der richtigen Spur sind.«
Es klopfte kurz an der Tür, und Direktor Thibon betrat das Büro. Er trug Mantel und Hut und wirkte äußerst elegant.
»Mir ist zu Ohren
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