Todesträume am Montparnasse - Ein Fall für Kommissar LaBréa
gekommen, dass Sie sich mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag in Verbindung gesetzt haben?«
»Ja, Monsieur, wir haben dort wertvolle Informationen erhalten.«
»Das hätten Sie vorab mit mir besprechen müssen, LaBréa!«
»Aber warum, Monsieur? Unsere Anfrage in Den Haag fand doch im Rahmen ganz normaler Ermittlungen statt.«
»So was kann Staub aufwirbeln, LaBréa! Das Tribunal in Den Haag ist ein politisches und juristisches Instrument der internationalen Staatengemeinschaft. Sie hätten bei Ihrer Anfrage den Dienstweg einhalten müssen. Auch ich hätte mich daran gehalten und mindestens den Präfekten, wenn nicht den Innenminister informiert.«
Würde der Innenminister wegen jeder Kleinigkeit informiert, würde er sich bedanken, dachte LaBréa. Thibon wollte sich lediglich wichtig machen, weiter nichts. LaBréa beschloss, nicht weiter auf Thibons Argumente einzugehen, und erwiderte lediglich: »Ja, wenn Sie meinen, Monsieur …«
»Allerdings meine ich das.« Thibons Augen ruhten schon die ganze Zeit auf Jean-Marc. Alle im Raum wussten, was jetzt kommen würde, und Thibon enttäuschte die Erwartungen nicht. Mit Blick auf Jean-Marcs gelb-schwarz gestreiften Pullover sagte er: »Schwarz und Gelb, das sind die Selbstmörderfarben, Lagarde. Wussten Sie das nicht? Von dieser Farbkombination geht eine äußerst negative Energie aus. Und so etwas überträgt sich und schafft Beeinträchtigungen. Zum Beispiel, wenn Sie Verdächtige oder Zeugen vernehmen.«
Jean-Marc blickte verlegen und schwieg.
»Also, ich verlasse jetzt das Haus«, fuhr Thibon mit schneidender Stimme fort. »Heute bin ich nur noch zu sprechen, wenn allergrößte Not am Mann ist. Und wenn Sie mir einen Täter präsentieren können.« Er rauschte hinaus. Da er immer noch sein verletztes Bein nachzog, sah es irgendwie grotesk aus.
Franck lachte los. »Ist er jetzt vollkommen durchgeknallt oder was? Negative Energien … Wenn einer die verströmt, dann doch wohl er!«
LaBréa schmunzelte. »Das ist wahrscheinlich der Einfluss seiner Frau. Seit Neuestem beschäftigt sie sich mit Esoterik und schreibt einmal pro Woche eine Kolumne in einem Massenblatt. Hat mir Claudine neulich erzählt.« Thibons Frau war Schauspielerin an der Comédie Française und galt als ebenso überspannt wie despotisch. Jeder wusste, dass Thibon bei ihr nichts zu lachen hatte und sich mit einer jungen Geliebten tröstete.
»Komisch nur«, meinte Jean-Marc, »dass er diesmal gar keinen seiner üblichen schlauen Sprüche losgelassen hat.«
Das Telefon auf LaBréas Schreibtisch klingelte. Es war Claudine.
»Christine Payan hat vor zwanzig Minuten ihre Wohnung verlassen und ist in ihren Wagen gestiegen, einen grünen Opel Corsa. Ich bin ihr unauffällig gefolgt.«
»Wohin ist sie gefahren?«
»Zum Boulevard Raspail. Sie parkte den Opel an der Ecke Rue de Rennes und ging ins Café Sélect . Ich stehe ziemlich direkt davor und muss aufpassen, dass sie mich nicht sieht. Sie sitzt dort an einem der Tische. Und zwar mit einer Frau. Die war bereits da, als die Payan kam. Ich kenne die Frau nicht, es ist keine aus der Sprayergruppe.«
»Jean-Marc macht sich sofort auf den Weg. Da Christine Payan ihn noch nie gesehen hat, soll er sich an ihre Fersen heften, sobald sie das Sélect verlässt. Sie folgen dann der anderen.«
»Jean-Marc soll sich beeilen. Ich hoffe nicht, dass die beiden schon bald wieder rauskommen. Ah, jetzt nimmt der Kellner die Bestellung auf. Die Unbekannte hält die Speisekarte in der Hand und fragt ihn irgendetwas. Vielleicht bestellt sie sich was zu essen, dann hätten wir Zeit.«
»Halten Sie Kontakt zu Jean-Marc«, sagte LaBréa abschließend.
Eine Minute später hatte der Paradiesvogel LaBréas Büro verlassen und eilte in die Tiefgarage.
Tagebucheintragung
Wieder ein schrecklicher Traum, wie so oft in letzter Zeit. Ich fahre mit meinem Fahrrad eine kleine, geteerte Straße entlang. Sie führt immer geradeaus, in die Tiefe der Landschaft. Es ist die Landschaft meiner Kindheit. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Das Wetter ist trüb, alles erscheint grau und ohne Sonnenlicht. Plötzlich höre ich hinter mir Geräusche. Ich drehe mich um und sehe Alex, wie er auf seinem Fahrrad kräftig in die Pedale tritt und mich einholt. Er lacht, aber er sieht viel älter aus, als er in Wirklichkeit ist. Wir radeln eine Weile stumm nebeneinander her, ohne dass ich weiß, wohin wir fahren. Nach einiger Zeit kommen wir
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