Todesträume am Montparnasse - Ein Fall für Kommissar LaBréa
zubilligen. Aber sicher bin ich mir da nicht.«
»Hätte es nicht diesen unglaublichen Zufall gegeben, dass Masson zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, wäre sie diesen beiden Männern voraussichtlich nie wieder begegnet«, meinte LaBréa nachdenklich.
»Ja, Commissaire. Und da frage ich mich, was Gott mit einer solchen Verkettung von Zufällen bezweckt?« Couperin blickte LaBréa an und lächelte. »Ich weiß, LaBréa, Sie glauben nicht an Gott. Aber finden Sie nicht - irgendwie liegt ein höherer Sinn in alledem.« Dann hob er beschwichtigend die Hand. »Nicht, dass
ich Dr. Cléments Taten beschönigen oder gar entschuldigen will! Aber, wie heißt es so schön? › Gottes Wege sind unergründlich. ‹«
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen. »Kommen Sie, Chef, schnell!« In Claudines Gesicht stand nackte Panik.
LaBréa und Couperin folgten Claudine zur Damentoilette. Dort hielten sich bereits mehrere Beamte in Uniform auf. Die Tür zu einer der Kabinen war aufgebrochen worden. Und da lag sie.
Hélène Clément, alias Elena Droganic.
Vor der Toilettenschüssel war sie auf den Steinfußboden gesunken. Ihren linken Arm hatte sie mit einem Stück Gummischlauch abgebunden. Neben ihrer rechten Hand lag eine Injektionsspritze. In Höhe ihrer angewinkelten Knie ihre geöffnete Handtasche.
»Ich habe sofort die Kollegen geholt, als ich plötzlich komische Geräusche hörte und Dr. Clément auf meine Frage nicht geantwortet hat.« Claudine war vollkommen fassungslos. »Sie hatte die Tür verriegelt.«
»O, mein Gott!«, flüsterte LaBréa. »Nein, das darf nicht wahr sein …« Er bückte sich und fühlte den Puls der Ärztin. Hélène Cléments Augen blickten erloschen. Und doch lag in ihnen eine tiefe Ruhe, als hätte sie endlich Frieden gefunden. Dann schüttelte LaBréa den Kopf und starrte Couperin fassungslos an.
Der Ermittlungsrichter stand sekundenlang unbeweglich da und wandte sich dann an Claudine.
»Haben Sie keine Leibesvisitation vorgenommen, als Sie Dr. Clément hierherbrachten? Die Handtasche durchsucht?«
»Nein.« Claudine war ein Häufchen Elend. Ihr war nur allzu klar, dass sie einen Riesenfehler begangen hatte und dass sie sich dafür würde verantworten müssen. »Ich dachte …«, sie beendete den Satz nicht und sah ihren Chef hilflos an.
»Darüber reden wir später«, meinte er. »Rufen Sie Dr. Foucart an, Claudine. Es wird eine Autopsie geben, das ist in solchen Fällen Vorschrift.«
Claudine eilte davon, froh, sich entfernen zu können.
Couperin war äußerst aufgebracht.
»Eine solche Panne hätte niemals passieren dürfen, LaBréa!«
»Ich weiß.«
»Diese Frau legt ein komplettes Geständnis ab, geht danach seelenruhig auf die Toilette und bringt sich um.« Er zündete sich eine Zigarette an und warf sein Feuerzeug wütend auf den Tisch.
LaBréa dachte an den Selbstmord des Vergewaltigers vor wenigen Tagen in der Santé. Jetzt musste seine eigene Abteilung ebenfalls mit einem Disziplinarverfahren rechnen, weil er und Claudine ihre Aufsichtspflicht sträflich vernachlässigt hatten.
Er zog sein Handy aus der Tasche und wählte die
Nummer von Roland Thibon. Über diesen Vorgang musste LaBréa ihn unverzüglich informieren.
Eine Stunde später saß LaBréa mit der Psychologin Christine Payan in seinem Büro. Dr. Cléments Schwägerin war fassungslos, als sie hörte, was geschehen war. Sie enthielt sich jedoch jeder Schuldzuweisung an die Adresse der Polizei und sagte lediglich: »Es war ihre Entscheidung, und die respektiere ich. Was hat sie sich injiziert?«
»Das wissen wir erst nach der Autopsie.«
»Sie hat diese beiden Männer getötet, hat es gestanden und danach den Weg gewählt, der ihr als der richtige erschien. Vielleicht ist es besser so.«
LaBréa zog die handgeschriebenen Blätter aus dem Umschlag.
»Ich kam nicht mehr dazu, Dr. Clément danach zu fragen«, erklärte er und legte die eng beschriebenen Seiten auf den Tisch. »Tagebuchaufzeichnungen. Briefe an ihre Eltern, ihren Bruder, eine Freundin, ihre ehemalige Klavierlehrerin. Dr. Clément hat viele solcher Briefe geschrieben und mit dem Kürzel ›E‹ unterschrieben. Ich vermute, das steht für ›Elena‹, ihren damaligen Vornamen.«
Christine Payan nahm einige der Blätter und überflog sie.
»Sie sehen ja selbst«, fuhr LaBréa fort, »das Erstaunliche daran ist, dass offenbar keiner dieser Briefe je abgeschickt wurde, denn das hier sind die Originale.
Sie umfassen einen Zeitraum von
Weitere Kostenlose Bücher