Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
manchmal nur eine, manchmal mehrere, ob es Kinder waren, ließ sich nicht mit Sicherheit sagen – getrennt waren. Mann und Frau, ein Paar. Auf manchen der Bilder erweckten sie den Eindruck, als sehnten sie sich danach, zu den anderen dazuzugehören.
Auch wenn Charlotte selbst nicht glaubte, dass es irgendetwas brachte, ließ sie die Bilder einige Minuten lang auf sich wirken, wobei sie dem Bild vom Rücken ihrer Mutter besonders viel Aufmerksamkeit schenkte.
Doch nichts. Es regte sich kein Gefühl in ihr, ihre Erinnerung blieb dunkel und leer. Auch ihr Verstand meldete sich nicht.
Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Sorry … «
»Okay.« Jennifers Enttäuschung war groß, obwohl sie sich keine besonderen Hoffnungen gemacht hatte. Sie sammelte die Fotos wieder ein und holte fünf weitere Bilder hervor. Sie zeigten die fünf anderen Opfer, als sie noch unter den Lebenden geweilt hatten.
Jennifer präsentierte der jungen Frau eines nach dem anderen und nannte Namen und Beruf in der klammheimlichen Hoffnung, dass die Tochter des sechsten Opfers jemanden erkennen würde. Dass sie ihnen irgendeine Verbindung offenbaren würde, die sie verfolgen konnten.
Jeder der Namen war mit einer eigenen traurigen Geschichte, mit Eltern, Kindern, Ehemännern, Verwandten, Freunden und Kollegen verknüpft. Mit Trauer und Schmerz.
Marie Burgmann, Carola Wöhler, Anja März, Elke Geiling, Denise Jeschke.
Jeder der Namen schien Jennifer selbst tief im Innern einen Stich zu versetzen. Sie war sich nur allzu bewusst, dass weitere Namen hinzukommen würden, wenn es ihr nicht gelang, den »Künstler« zu stoppen, den Mann, der nicht nur das Leben dieser Frauen, sondern auch das ihrer Familien zerstört hatte.
Doch Charlotte reagierte bei jedem Foto mit einem Kopfschütteln. Sie war still geworden. Mit den Opfern konfrontiert, schien sie tatsächlich doch noch so etwas wie Bedauern oder Mitleid zu entwickeln.
Schließlich waren sie am Ende angelangt. Jennifers Blick schweifte über die Notizen, die sie sich während des Gesprächs gemacht hatte. Dürftig.
Sie unterdrückte ein Seufzen. »Ich denke, das war es dann für heute. Es würde uns sehr helfen, wenn Sie direkt mit uns zu dem Schließfach fahren würden, in dem Sie die Unterlagen ihrer Mutter aufbewahren.« Die persönlichen Habseligkeiten des Opfers zu durchstöbern würde sie vielleicht doch noch weiterbringen.
Charlotte reagierte auf die Bitte nicht wie erwartet. Sie löste einen kleinen Schlüssel von ihrem Schlüsselbund und reichte ihn Jennifer über den Tisch. »Böttcher Lageristik.«
In den Schlüssel war eine kurze Folge von Buchstaben und Zahlen eingraviert, vermutlich die Bezeichnung des Schließfaches. Jennifer legte ihn auf dem Block mit ihren Notizen ab. »Sind Sie sicher, dass Sie nicht mitkommen wollen?«, fragte sie. »Wir würden Sie anschließend auch nach Hause bringen.«
Charlotte schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich komme zurecht.«
Jennifer nickte nur und beschloss, die Kiste in diesem Fall erst morgen früh zu holen.
Anschließend erledigten sie den Papierkram, der für die freiwillige Herausgabe von Katharina Seydels Habseligkeiten notwendig war. Grohmann bestand darauf, dass die junge Frau eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieb, unterließ es jedoch, sie auf die Folgen eines Verstoßes hinzuweisen.
Jennifer übergab der Studentin ihre Visitenkarte. »Rufen Sie mich an, falls Ihnen noch etwas einfällt, selbst wenn Sie es für unbedeutend halten.«
Charlotte nickte.
Sie stand schon in der Tür, als sie sich noch einmal umdrehte. »Was passiert mit … den Überresten meiner Mutter?«
»Wir könnten noch einen DNS -Abgleich in Auftrag geben, um sicherzugehen«, erklärte Jennifer. »Auch wenn wir die Identifikation als ausreichend ansehen. Aber falls Sie auf einem Abgleich bestehen … «
Charlotte schüttelte erwartungsgemäß den Kopf.
»Dann werde ich direkt morgen früh das Bestattungsinstitut über die Freigabe informieren. Sie müssten dann allerdings noch eine Verzichtserklärung unterschreiben.«
»Klar.«
Jennifer suchte das entsprechende Formular heraus und füllte es mit den notwendigen Daten aus, obwohl die Ungeduld der jungen Frau deutlich spürbar war.
Charlotte unterschrieb noch im Stehen. Dann war sie verschwunden.
7
Als Charlotte gegangen war, kamen Jennifer und Oliver Grohmann überein, dass sie den Fall an diesem Abend nicht weiter diskutieren wollten. Das Gespräch mit der Tochter ihres neuesten
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