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Todeszeit

Todeszeit

Titel: Todeszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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auf dem Rücksitz eine alte Frau, deren hervorquellende Augen und dunkelrotes Gesicht darauf hinweisen, dass ihr Mann sie erwürgt hat.
    Die Toten sprechen nicht. Ich weiß auch nicht, warum. Außerdem blutet ein von einer Axt getroffener Geist nicht aufs Polster.
    Nichtsdestoweniger ist ein Gefolge aus kürzlich Verstorbenen nicht nur beunruhigend, es hebt auch nicht gerade die Stimmung.
    Der Besucher auf dem Rasen war kein gewöhnlicher Geist, ja vielleicht gar kein Geist. Zusätzlich zu den auf der Erde verweilenden Geistern der Toten sehe ich noch eine andere Sorte übernatürlicher Wesen. Ich nenne sie Bodachs .
    Sie sind pechschwarz, von fließender Gestalt und besitzen nicht mehr Substanz als Schatten. Obwohl sie so groß sind wie ein durchschnittlicher Mensch, schleichen sie häufig nah am Boden dahin wie Katzen. Dabei verhalten sie sich völlig geräuschlos.

    Der auf dem Rasen der Abtei bewegte sich aufgerichtet fort. Er war schwarz und hatte keine erkennbaren Merkmale, und doch sah er aus wie etwas, das halb Mensch und halb Wolf war. Geschmeidig war er, glatt und finster.
    Das Gras, über das er kam, regte sich nicht. Hätte er eine Wasserfläche überquert, so wäre nicht die kleinste Welle entstanden.
    In der Sagenwelt der Britischen Inseln ist der Bodach ein abscheuliches Ungeheuer, das nachts durch den Schornstein ins Haus gleitet, um unartige Kinder mit sich fortzuschleifen. Man könnte fast meinen, er würde fürs Finanzamt arbeiten.
    Was ich sehe, sind weder Bodachs noch Steuereintreiber. Diese Wesen schleppen auch weder unartige Kinder noch säumige Erwachsene mit sich fort. Aber ich habe gesehen, wie sie durch den Schornstein – oder auch durch Schlüssellöcher und den Spalt von Fensterrahmen – in Häuser eingedrungen sind, so anpassungsfähig wie Rauch, und ich weiß keinen besseren Namen für sie.
    Ihr seltenes Erscheinen ist immer ein Grund zur Sorge. Sie scheinen eine Art übersinnliche Vampire zu sein, die sich von menschlichem Leiden nähren und in die Zukunft blicken können. Deshalb werden sie von Orten angezogen, an denen bald Gewalttaten oder schlimme Katastrophen geschehen werden.
    Obwohl Boo ein tapferer Hund war, wofür er gute Gründe hatte, schreckte er vor der an ihm vorüberstreichenden Erscheinung zurück. Seine schwarzen Lippen öffneten sich und entblößten spitze weiße Zähne.
    Das Phantom hielt inne, als wollte es den Hund verhöhnen. Offenbar wissen die Bodachs, dass manche Tiere sie sehen können.
    Ich weiß nicht, ob sie wissen, dass auch ich sie sehen
kann. Wenn sie es wüssten, würden sie wohl weniger Erbarmen mit mir haben als gewisse religiöse Fanatiker, wenn sie gerade in übler Laune sind.
    Beim Anblick der Erscheinung war mein erster Impuls, vom Fenster zurückzutreten und mich zu den Staubflocken unter meinem Bett zu gesellen. Mein zweiter Impuls bestand darin, pinkeln zu gehen.
    Statt der Feigheit oder dem Ruf meiner Blase nachzugeben, rannte ich aus meinem Zimmer auf den Flur. Hier, im zweiten Stock des Gästehauses, befanden sich zwei kleine Zimmerfluchten. Die andere war momentan unbewohnt.
    Der Russe im ersten Stock, der immer finster blickte, tat das zweifellos gerade auch im Schlaf. Da das Kloster äußerst solide gebaut war, drangen meine Schritte sicherlich nicht in seine Träume ein.
    Das Gästehaus besitzt eine Wendeltreppe aus Granitstufen, die von Steinwänden umschlossen sind. Da die Stufen abwechselnd schwarz und weiß sind, muss ich dort immer an Harlekine, Klaviertasten und einen kitschigen alten Song von Paul McCartney und Stevie Wonder denken.
    Obwohl Steinstufen ziemlich hart sind und das schwarzweiße Muster desorientierend wirken kann, rannte ich blindlings ins Erdgeschoss und nahm dabei in Kauf, den Granit zu beschädigen, falls ich stürzte und mit dem Schädel darauf aufschlug.
    Vor sechzehn Monaten habe ich das verloren, was mir am meisten wert war. Seither liegt meine Welt in Trümmern, aber rücksichtslos verhalte ich mich sonst trotzdem nicht. Ich habe zwar weniger, wofür ich leben kann, als früher, doch mein Leben hat noch immer einen Zweck, und ich bemühe mich, in jedem einzelnen Tag Sinn zu finden.
    Ich hinterließ die Treppenstufen in dem Zustand, in dem ich sie vorgefunden hatte, und eilte durch den großen Aufenthaltsraum,
wo nur eine Nachtlampe mit perlenverziertem Schirm das Dunkel milderte. Dann stieß ich eine schwere Eichentür mit einem bunten Glasfenster auf und sah, wie mein Atem in der Winternacht eine Wolke

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