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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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oft allein sein in einer großen Passagiermaschine.«
    O Gott, durchfuhr es mich: die Schlinge habe ich mir selber zugezogen. Ich hab’ genau das Falsche gesagt. Dieser Absatz in dem Fragebogen, für den ich nur Hohn und Spott gehabt hatte, er hat sich gegen mich gekehrt und mich zu Fall gebracht. Nach was für Mädchen hält Mr. Garrison wohl Ausschau, die in der Magna International Airlines fliegen dürfen? Offensichtlich nach Mädchen, die gesund sind, glücklich, lächelnd, gesellig. Und wie hatte ich mich entpuppt? Als ein morbider, introvertierter Typ, von der Sorte, die sich immer in irgendeine finstere Ecke verkriecht, um irgendein jämmerliches Buch zu lesen. Von der Sorte, die stundenlang über irgendeinen See strampelt, um ihren Mitmenschen zu entgehen. Ich selber hatte es dem Mann gesagt, aus meinem eigenen Munde hatte er es.
    Er schien gar nicht zu merken, wie außer mir ich war. Er redete schon über alles mögliche andere. Das Gehalt zum Beispiel. Er setzte mir auseinander, daß die Mädchen nur auf Probe angestellt seien, das hieße für die Dauer einer vierwöchigen Ausbildung — während dieser Zeit könnten sie fristlos entlassen werden —, und erst nach der Ausbildung würde ein Vertrag gemacht. Während des Lehrganges bekämen sie fünfundvierzig Dollar in der Woche, abzüglich fünfzehn Dollar für Miete, minus weiterer Abzüge für Uniformen, Sozialversicherung und so weiter. Ob ich bereit wäre, das anzunehmen?
    »Ja«, sagte ich.
    »Und noch etwas«, redete er weiter, »während der Ausbildung legen wir ungewöhnlich hohe Maßstäbe an. Es geht sehr viel härter zu als im Bryn Mawr College. Wer den Durchschnitt von neunzig Prozent nicht erreicht, wird nach Hause geschickt.«
    »Oh«, sagte ich. »Neunzig Prozent Durchschnitt!«
    Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück: »Miß Thompson, da wären noch ein paar Dinge, die ich gern klargestellt hätte. Erstens: Alle Achtung vor Ihren Fähigkeiten, besonders Ihrem Sprachtalent. Sollten Sie zu uns kommen, wird einige Zeit vergehen, ehe Sie auf unseren internationalen Linien eingesetzt werden — gemäß unserer Regel fliegen unsere Mädchen erst dann auf diesen Routen, wenn sie zwei Jahre Dienst auf den nationalen Strecken hinter sich haben. Andererseits leiden wir unter einem gewissen Mangel an Mädchen mit den erforderlichen Fähigkeiten. Verstehen Sie mich?«
    »Ja, Sir.«
    »Nun gut, wenn wir eine engagieren, stellen wir keine eisernen Bedingungen, wie lange sie bei uns zu bleiben hat. Wir machen uns nichts vor, eine jede von euch kann heute oder morgen eine andere, anziehendere Beschäftigung finden — zum Beispiel heiraten und eine Familie gründen.« Er verschränkte die Arme und hielt einen Augenblick inne. »Dennoch, Miß Thompson, möchten wir natürlich eine gewisse Sicherheit haben, daß wir Sie nicht verlieren, eine Woche nachdem Sie die Ausbildung beendet haben. Wie denken Sie darüber? Betrachten Sie das Fliegen als eine Art Intermezzo? Oder sehen Sie darin Ihren Beruf?«
    »Ich liebe das Fliegen, Mr. Garrison«, antwortete ich. »Wenn die Gesellschaft mich einstellt, würde ich am liebsten unentwegt fliegen, jahraus, jahrein, bis man mich im Rollstuhl aus dem Flugzeug ausladen muß.«
    »Okay«, sagte er. »Mrs. Montgomery?«
    Sie sagte langsam: »Auch ich finde Ihre Fähigkeiten eindrucksvoll, Miß Thompson, Ihre Sprachkenntnisse, Ihre Persönlichkeit, Ihre Herkunft sind ungewöhnlich. Sie haben ein sehr anziehendes Lächeln, das unzweifelhaft viele Passagiere erfreuen wird. Aber ich muß Ihnen offen sagen: lächeln kann jede. Dieser Beruf verlangt weit mehr als das. Es ist keineswegs damit getan, daß Sie im Gang auf und ab schreiten und hinreißend aussehen.«
    Mir wurde ganz flau vor Angst, weil sie in so ernsthaftem Ton sprach.
    Sie fuhr fort: »Meine Liebe, ich bewundere Ihre Leidenschaft für Bücher. Ich begreife auch voll und ganz Ihren Wunsch, sich von der Menge zurückzuziehen. Natürlich. Wir müssen alle hin und wieder allein sein. Aber —«
    Ich wand mich.
    »Aber, Miß Thompson, wir müssen alle lernen, uns einzuord-nen. Das ist es, wodurch wir reifen. Nur so können wir uns entwickeln und Erfüllung finden. Wenn Sie bei uns arbeiten, werden Sie selten allein sein. Sie werden in Flugzeugen arbeiten voller Passagiere, die in manchen Fällen ausschließlich auf Sie angewiesen sein werden. Und das ist das Schwerste, was Sie zu lernen haben werden — zu geben, zu geben, zu geben, freiwillig und endlos. Nicht mehr an

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