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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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Gehirne an-trieb und unsere Stimmen trug. Sie war fort. Unsere Atmosphäre war jetzt praktisch die gleiche wie die Atmosphäre des schwarzen Himmels draußen, dünn und eisig und unfähig, Leben zu erhalten. Garrison und Kompanie hatten verdammt gut dafür gesorgt, daß ich wußte, was ich in einer solchen Atmosphäre zu tun hatte. Rasche Druckverminderung, mein Gott, ich kannte rasche Druckverminderung fast so gut wie das Alphabet.
    Die Sauerstoffflaschen lagen in den Fächern über Reihe sieben in der Mitte der vorderen Kabine und über Reihe dreiundzwanzig im hinteren Teil der Heck-Kabine — aber die waren für Janyce Hinds und Jurgy bestimmt, falls sie noch auf den Beinen waren. Ich sauste also zu Reihe sieben und zog meine Flasche herunter, schlang mir den Riemen über die Schulter, setzte mir die Maske vors Gesicht, drehte den gelben Knopf entgegengesetzt zur Uhrzeigerrichtung, um das Sauerstoffventil zu öffnen — entgegengesetzt, als drehte man einen Wasserhahn auf. Ich prüfte den Sauerstoffzustrom, indem ich den Schlauch unterhalb des Atembeutels zusammendrückte, und der Beutel fing an, sich aufzublähen — geschafft. Neben mir tat Kay das gleiche. Es wunderte mich nicht, sie hier zu sehen, sie hatte einfach dazusein, genauso wie ich. Ich wußte auch, was in der Kanzel vor sich ging: Die Maschine ging rasch tiefer — sie stand aber nicht auf der Nase wie ein in die Meerestiefe gehendes U-Boot, wir verloren an Höhe in einem langen Gleitflug. Wir konnten in einer Minute von dreißigtausend Fuß Höhe niedergehen auf fünftausend Fuß, und in fünftausend Fuß Höhe konnten wir leben, wenn wir bei Bewußtsein blieben in dieser ersten Minute ohne Luft und ohne Druck.
    Das Signal glomm durch den Dunst: »Rauchen verboten. Sitzgurte anschnallen.« Vor allen Sitzen baumelten die Sauerstoffmasken vor den verdutzten Männern. Die Dinger hatten sich automatisch gelöst. Kay bedeutete mir mit einer flinken Geste, ich solle mich um den hinteren Teil der Kabine kümmern, sie selber ging nach vom. Barney, dieser arme Teufel, versuchte, vom Boden hoch auf einen Sitz zu krabbeln; sie packte ihn unter den Armen, zog ihn hinauf und drückte ihm eine Sauerstoffmaske in die Hand. Luke war noch ganz benommen, auch ihm stopfte sie eine Sauerstoffmaske in die Hand. Und Ray Duer stand da und starrte uns an, der typische Tölpel von Wissenschaftler, der ein faszinierendes Experiment beobachtet. Gott sei Dank verschwendete sie auch an ihn keine Höflichkeit — sie legte ihm einfach die Hände auf die Brust, schubste ihn auf seinen Sitz und stülpte ihm eine Maske vors Gesicht. Dann ging sie in den vorderen Salon.
    Es war kaum ein Laut zu hören. Niemand rührte sich. Die Kabine war eisig, und alle Fenster waren beschlagen. Ein paar der Männer waren schon auf ihren Sitzen zusammengesunken, ich mußte zu jedem einzelnen eilen, ihm den Kopf hochheben und ihm die Sauerstoffmaske vor Mund und Nase halten, bis er wieder zu sich kam und die Maske selber halten konnte. Ihre Blicke folgten jeder meiner Bewegungen: sie waren ganz benommen von dem Schock und konnten nicht begreifen, was geschehen war, sie konnten sich nicht vorstellen, was als nächstes geschehen würde. Er ist für Operationen, so mußte ich immer wieder denken, er ist für Vögel, er ist nicht für Menschen. Ich konnte Janyce und Jurgy in der hinteren Kabine sehen, die reinsten Fabelwesen in ihren Uniformen, mit den Masken und Sauerstoffflaschen, zwei atemberaubende Schöne vom Mars; und sie taten genau das, was auch ich tat, sie gingen im Gang hin und her, beugten sich hinunter, um sich um einen der Männer zu kümmern, ihm die kostbaren Atemzüge zu ermöglichen, die sein Gehirn wieder zum Leben erweckten, dann schritten sie weiter zum nächsten. Mein Gott, sie waren großartig. Sie waren wundervoll. Sie machten das alles mit vollendeter Gelassenheit, als hätten sie Sauerstoff verteilt vom Tage ihrer Geburt an.
    Es dauerte eine Minute, so lang wie ein Jahr — länger. Die längste und kälteste und finsterste Minute, die ich je erlebt habe. Aber auch sie verging. Die Stimme des Kapitäns ertönte über den Lautsprecher, grimmig und blechern: »Meine Herren, ich glaube, wir haben’s geschafft.« Sekunden verstrichen, und dann sagte er: »Ich bitte die beiden Senior-Stewardessen, zu mir in die Kanzel zu kommen.« Wir konnten ihn hören, es war ein Wunder. Wir hatten Luft, die den Ton leitete, Luft zum Atmen, Luft, die uns vor der Kälte schützte. Ich nahm die

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