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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elia Barceló
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möchte ich mich keineswegs beschweren –, ist mir die Aufgabe zugefallen, diese Trauerfeier auszurichten, den Abschied von unserer geliebten Lena. Ich wollte etwas machen, das ihr gefallen hätte, und da ich weiß, dass sie kein christliches Begräbnis wollte, aber doch an die Transzendenz der Seele glaubte, habe ich mir etwas einfallen lassen. Ritas Freundin Ingrid hat mich dabei ein wenig beraten. Ich hoffe, ihr seid nicht schockiert.«
    Sie setzt sich wieder hin, und plötzlich dröhnt der Sound von Queen durch den Saal, Bohemian Rapsody . Nachdem sich die Gesellschaft vom ersten Schrecken erholt hat – vor allem die älteren Frauen wechseln verstörte Blicke –, schließen die meisten die Augen und geben sich der Musik hin. Danach steht Teresa wieder auf.
    »Wir haben uns gedacht, dass jetzt ihre engsten Freundinnen sprechen und jede ihre schönste Erinnerung an unsere liebe Lena erzählen sollte und was sie am meisten an ihr mochte, aber ihr seht ja, ich muss schon weinen, also wird das nicht möglich sein. Ich werde euch nicht einmal die Texte vorlesen können, die ich ausgewählt habe, weil sie ihr so gut gefielen.« Ihre Stimme bebt so sehr, dass sie innehalten und sich die Nase putzen muss. Da steht Sole auf.
    »Tere, wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dann gern etwas vorlesen.«
    Teresa nickt dankbar und setzt sich, während Sole unter dem Gemurmel der Trauergäste, die einander aufklären, wer die Frau in dem hellen Leinenkleid ist, nach vorn geht und sich neben den Sarg stellt.
    »Was ich euch vorlesen möchte«, beginnt Sole mit fester Stimme, »ist ein Schreiben, das Lena mir vor etwa zwei Wochen zugemailt hat. Vor einigen Monaten haben wir angefangen, uns E-Mails zu schicken, und dadurch eine Freundschaft aufgefrischt, die wir schon verloren glaubten. Fast nie haben wir uns Ereignisse aus unserem täglichen Leben erzählt; vielmehr haben wir Erinnerungen ausgetauscht, als wären es Geschenke. Manche Dinge, an die sie sich noch deutlich erinnerte, hatte ich vergessen und umgekehrt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was mir dieser Kontakt bedeutet hat; es war, als kehrte ich zurück in meine Jugend, zurück ins Leben.«
    Sole faltet die Papiere auseinander, die sie in der Hand hält, setzt die Brille auf, die an einer diamantenbesetzten Kette hängt, lässt den Blick über ihr Publikum schweifen, räuspert sich und beginnt zu lesen.
    David richtet sich auf seinem Stuhl auf. Vor wenigen Tagen haben ihm die Kollegen der IT -Abteilung einige E-Mails weitergeleitet, die Lena auf ihrem Rechner gespeichert hatte, Briefe ihrer Freundin Sole, doch hob Lena anscheinend keine Kopien ihrer gesendeten Nachrichten auf, und somit kennt er dieses Schreiben nicht und ist gespannt, ob ihm irgendein Indiz zu entnehmen ist. Nach der Trauerfeier wird er Sole um den Text bitten und ihn mit dem vergleichen, was sie schon haben.
    Die Mädels ballen die Fäuste, schlucken hart und werfen einander verstohlene Blicke zu, weil sie befürchten, dass Sole, die so lange keinen Kontakt zu ihnen gehabt hat, unbedarft etwas vorlesen könnte, das die anderen vor indiskreten Ohren lieber geschützt hätten. Teresa schaut besorgt zu Rita hinüber, die nur schicksalergeben die Schultern hebt.
    Candela bekommt fast nichts mit. Seit sie die Trauerhalle betreten hat, schlottert sie am ganzen Leib, und es kostet sie übermenschliche Anstrengung und Konzentration, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie vor Entsetzen nur noch wie eine weiche Gummimasse ist. Sie hält die Arme fest unter der Brust verschränkt und den Kopf gesenkt, im Bemühen, nach Trauer aussehen zu lassen, was sie stattdessen in Wahrheit fühlt: Angst. Eine grausige, lähmende Angst, die durch ihre Adern, entlang ihrer Nerven aufwärtskriecht und sich in ihrem ganzen kranken Körper ausbreitet, ihrem verräterischen Körper, der bald aufhören wird zu funktionieren, um das zu werden, was Lena jetzt ist: ein kalter Leichnam. Sie hat immer gewusst, dass sie sterben muss wie alle Menschen; aber bisher war das eine theoretische, intellektuelle Erkenntnis, fernab von ihrem Leben und ihrer eigenen Substanz. Selbst an diesem Morgen, als sie sich für die Beerdigung anzog, war der Tod draußen geblieben, auf der anderen Seite der Tür; doch jetzt, im Andachtsraum, umringt von den Freundinnen, die Lena beweinen, hat sich der Tod neben ihr, in ihr niedergelassen, grinst sie an mit seiner Schädelfratze und wartet. Candela weiß, dass die nächste Beerdigung ihre eigene sein

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