Töchter des Schweigens
Übrige habe ich Ihnen ja vorhin schon erzählt.«
Während des Verhörs lief ein Aufnahmegerät, und außerdem machte sich Machado in einer kleinen sauberen Handschrift ab und zu Notizen.
»Haben Sie sich zwischen dem Fest am Samstag und Mittwochabend mit irgendjemandem getroffen?«
»Mit Candela, wie schon gesagt.«
»Mit sonst niemandem?«
Sie dachte einen Moment nach.
»Doch. Mit einem alten Bekannten, Manolo Cortés. Aber das war nicht verabredet. Wir sind uns am Montagabend über den Weg gelaufen, als ich einen Happen essen gehen wollte.«
»Und wo waren Sie mit ihm?«
»Wir sind ein Stück durch den Ort gegangen und haben uns an die alten Zeiten erinnert. Hinterher wollte er mich noch zum Essen einladen, aber das habe ich abgelehnt.«
»Warum?«
»Weil ich keine Lust hatte. Manolo und ich haben nicht mehr viel gemeinsam, und ich arbeite an einem Drehbuch, das ich wesentlich interessanter finde als ein Gespräch mit ihm.«
»Das klingt, als hätten Sie sich gestritten.«
»Gestritten? Warum sollte ich mich mit jemandem streiten, den ich seit dreiunddreißig Jahren nicht gesehen habe? Außerdem habe ich Ihnen doch schon gesagt, dass wir einen Spaziergang gemacht und in einer Bar auf der Plaza Mayor ein Bier getrunken haben.«
»Das haben Sie nicht gesagt.«
»Aber so war es. Irgendjemand wird mich sicherlich erkannt haben, nehme ich an.«
»Und an dem Abend, an dem Sie zum Essen bei Candela Alcántara in Alicante waren, am Dienstag, nicht wahr?« Rita nickte. »Worüber haben Sie da gesprochen?«
Sie sah ihn verblüfft an.
»Wie soll ich das jetzt noch wissen, Inspektor? Nun ja … keine Ahnung … über alles Mögliche. Über mein Leben, über ihr Leben, die Vergangenheit, Erinnerungen aus der Schulzeit, gemeinsame Freundinnen …«
»Das heißt, es war ein netter, ruhiger Abend ohne Streit?«
»Na, mit dem Streiten haben Sie es aber! Ich habe mich noch nie mit jemandem gestritten, das liegt mir nicht. Wenn ich mich in einer Situation unwohl fühle und keine Lust habe, mit jemandem zu reden, dann gehe ich einfach.«
»Um welche Zeit sind Sie gegangen?«
»Keine Ahnung. Gegen drei vielleicht. Vielleicht war es auch später. Fragen Sie doch Candela.«
»Warum haben Sie nicht bei ihr in Alicante übernachtet, wenn es schon so spät war?«
»Weil ich lieber in meinen eigenen vier Wänden aufwache, mir einen Kaffee koche und eine Weile arbeite, solange mein Gehirn gut funktioniert. Etwas dagegen einzuwenden?«
»Ganz und gar nicht, Señora Montero. Das ist Ihre Sache.« Er stand auf, erklärte die Unterredung für beendet, reichte ihr aber nicht die Hand. »Vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Wenn Sie dann bitte heute Nachmittag noch einmal hereinschauen und Ihre Aussage unterzeichnen würden.«
Sie war kurz davor, ihn zu fragen, wann sie Lena begraben könnten, beschloss dann aber, es Teresa zu überlassen. Das fiel eindeutig in Teresas Zuständigkeit, und Rita hatte den Eindruck, dass dieser Polizist ihr aus unerfindlichen Gründen zutiefst misstraute, also nickte sie ihm nur zu und verließ das Zimmer mit dem deutlichen Gefühl, dass dies erst der Anfang gewesen war.
Dezember 1973
Als Carlos Montero nach Hause kommt, wartet Ana, die Freundin seiner Tochter, im Treppenhaus auf Marga. Er hat dieses Mädchen immer gemocht, das jetzt schon fast eine Frau ist und bezaubernd aussieht mit den dunklen Locken, die sich unter der roten Wollmütze hervorringeln, und dem überlangen Schal in der gleichen Farbe.
»Na, Mädels? Auf Männerfang?«
»Ach, Papa!« Marga, die die Treppe heruntergerannt kommt, wobei sie wie immer zwei Stufen auf einmal nimmt, ist ernst. »Ana und ich und César und Magda gehen auf die Demonstration.«
Der Vater schluckt.
»Was für eine Demonstration?«
»Du kriegst aber auch gar nichts mit. Die Demonstration gegen die Todesstrafe für Puig Antich, den Studenten, der angeblich den Guardia Civil ermordet hat.«
»Das ist illegal.«
»Natürlich ist das illegal! Aber es ist auch illegal, ihn für etwas hinzurichten, das er nicht getan hat.«
»Was weißt denn du, ob er es getan hat oder nicht?«
»Das spielt doch keine Rolle. Niemand hat das Recht, einen anderen Menschen zu töten.«
»Und der Staat am allerwenigsten«, bekräftigt Ana.
»Kommt überhaupt nicht infrage. Du wirst das Haus nicht verlassen, Marga.«
»Das kannst du mir nicht verbieten.«
»Selbstverständlich kann ich es dir verbieten. Ich bin dein Vater, und du bist minderjährig. Wenn ihr
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