Töchter des Schweigens
ließ sie weinen, ohne etwas dagegen zu unternehmen, spendete ihr nur den Trost seiner Gegenwart, seiner Umarmung, bis ihr Atem sich wieder beruhigte.
Alle hielten Jaime für ein wenig beschränkt, oberflächlich, einen sympathischen Pantoffelhelden, der seiner Frau nach der Pfeife tanzte. Was niemand wusste, war, dass er für Teresa die perfekte Ergänzung darstellte: ein ruhiger Mann mit einer enormen Gelassenheit in kritischen Momenten, eine Festung, wenn es nottat, eine starke Mauer zum Anlehnen, auch wenn nach außen hin sie die Standhaftere zu sein schien und jeder dachte, Teresa wäre ein Felsblock. Bei Jaime durfte sie den Panzer ablegen und sich ohne Angst von ihrer schwächsten und verzagtesten Seite zeigen, denn sie wusste, dass er ihre Zerbrechlichkeit niemals ausnutzen würde.
Sie hob den Kopf und küsste ihn, dankbar für seine Liebe und seine Anwesenheit.
»Gibt es etwas Neues?«, fragte er in der Hoffnung, es würde seiner Frau helfen, die Fassung wiederzugewinnen, wenn sie über praktische Dinge sprach.
»Die Polizei hat mich angerufen, wir können sie abholen. Ich habe für Montag einen Termin mit dem Krematorium gemacht. Es hat keinen Sinn, noch länger zu warten. Meinetwegen hätte es gleich morgen sein können, aber morgen ist Samstag …«
»Für eine Todesanzeige in der Zeitung ist es jedenfalls zu spät.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das muss auch nicht sein. Es ist ja kein Volksfest. Ihre Freunde werden da sein und basta.«
»Mit Messe oder ohne?«
»Ohne natürlich. Das bereitet mir noch etwas Kopfzerbrechen, Jaime. Eine Messe wäre Heuchelei und völlig daneben. Lena fühlte sich nicht katholisch. Sie hat ein wenig mit dem Buddhismus geliebäugelt, ohne dass sie deshalb Buddhistin geworden wäre. Jedenfalls können wir sie nicht einfach so begraben, ohne jedes Ritual, ohne eine besondere Geste, als würden wir eine leere Dose in den Papierkorb werfen, verstehst du?«
Er nickte mit sehr ernster Miene. Dann stand er auf, ging in die Küche und kam mit zwei Gläsern und einer Flasche gekühltem Weißwein zurück.
»Und was schlägst du vor?«, fragte er und setzte sich wieder.
»Ich habe mir gedacht, jede von uns könnte ein paar Worte sagen, eine persönliche Erinnerung an Lena erzählen, aber ich weiß, dass ich das von einigen nicht verlangen kann. Ana und Carmen würden heulen wie die Schlosshunde, uns alle anstecken und bekämen, abgesehen davon, sowieso keinen Ton heraus. Candela würde versuchen, witzig zu sein, irgendeinen zynischen Kommentar abgeben und uns alle in Verlegenheit bringen. Ich weiß nicht recht. Wahrscheinlich werde ich Rita darum bitten.«
»Und wenn du allein sprichst? Du bist diejenige, die sie am besten gekannt hat.«
Teresas Lippen begannen zu zittern, wieder kämpfte sie mit den Tränen.
»Warum fragst du nicht Ingrid, vielleicht fällt ihr etwas ein?«
»Ingrid? Aber wir kennen sie doch kaum, außerdem ist sie verreist.«
»Sie ist in Andalusien, und es gibt Telefon. Sie hat Übung im Organisieren und Improvisieren. Na los, ruf sie an, fragen kostet nichts.«
Teresa schien unschlüssig.
»Ich weiß nicht, Jaime …, es ist etwas, das nur uns angeht, und Fremde mit hineinzuziehen …?«
»Überleg’s dir. Hast du etwas von Candela gehört? Hat sie Rita angerufen?«
»Sie hat mir versprochen, es heute zu tun, aber sie ist eigenartig. Als ob sie wütend und traurig wäre und gleichzeitig froh, Rita helfen zu können.«
»Sie hat es wahrlich nicht leicht, die Arme. Und sie ist sehr einsam …«, er trank einen langen Schluck. »Wie kommt sie damit klar?«
»Candela schweigt wie ein Grab, das weißt du doch. Uff, tut mir leid! Was für ein makabrer Scherz!«
»Sie weiß Bescheid, nicht wahr? Sie weiß, dass sie nicht mehr lange hat.«
»Ihr Onkologe hat es ihr gesagt, und ich habe es ihr auch gesagt. Einen bis drei Monate. Wenn sie Glück hat, etwas mehr. Oder auch weniger, du weißt, wie es mit diesen Lymphomen ist. Aber soweit ich weiß, hat sie es niemandem erzählt. So ist sie. Sie erträgt es nicht, bemitleidet zu werden. Sie erträgt es ja kaum, geliebt zu werden …«, fügte Teresa fast tonlos hinzu. Sie stand auf und begann, das Glas in der Hand, im Zimmer umherzugehen. »Wenigstens wird sie nicht leiden. Dafür werde ich sorgen, wenn es so weit ist. Es ist das Einzige, was ich für sie tun kann, verdammt noch mal! Wie kann es sein, dass mir mit fünfzig die Freundinnen wegsterben, Jaime? Wie ist das möglich? Jetzt Lena. Bald
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