Töchter des Schweigens
er als Gemeindepfarrer in verschiedenen Dörfern tätig und ist seit Kurzem pensioniert. Trotz wiederholter Angebote hat er nie mehr an einem Gymnasium unterrichtet.
Marisa wartete das ganze Jahr 1975 auf ihn, bis sie sich damit abfand, dass Javier sie nicht wiedersehen wollte. Sie bewarb sich um eine ursprünglich auf sechs Jahre befristete Stelle am Liceo Español in Rom und verliebte sich in einen römischen Journalisten, den sie 1979 heiratete. Sie haben drei inzwischen erwachsene Kinder und zwei Enkel. Mittlerweile ist Marisa mehr Italienerin als Spanierin und gibt schon seit Jahren keinen Englischunterricht mehr.
Remedios Merchán studierte Psychologie in Valencia und Kriminologie in Madrid, ehe sie sich der Psychoanalyse zuwandte, und nachdem sie einige Zeit in Haftanstalten gearbeitet hatte, ließ sie sich mit einer eigenen Praxis in Alicante nieder. Sie hat einen Sohn aus ihrer ersten festen Beziehung, hat aber nie geheiratet. Sie hat Gewichtsprobleme und leidet an Diabetes, aber sie mag ihre Arbeit und hat gerade einen Enkel bekommen, der sie überglücklich macht. Als sie Candelas Todesanzeige in der Zeitung las, hat sie kurz überlegt, ob sie nach Elda fahren und ihre alten Schulkameradinnen wiedersehen sollte. Schon wollte sie ihre Sprechstundenhilfe anweisen, alle Vormittagstermine abzusagen, beschloss dann aber, doch weiterzuarbeiten wie gewohnt. Sie hat niemals einer Menschenseele erzählt, was 1974 in Mallorca geschehen war.
Nachwort zur deutschen Ausgabe
Dieser Roman spielt in Spanien, und alle Hauptfiguren sind Spanierinnen und Spanier, doch abgesehen von den historischen und örtlichen Gegebenheiten ist das, was geschieht, universell. Wie in meinen anderen Romanen geht es um tief vergrabene, sorgsam gehütete Geheimnisse im Leben der Protagonisten, alte Sünden, die lange Schatten werfen, so lang, dass sie bis in die Gegenwart reichen und diese zu verschlingen drohen.
Die Handlung vollzieht sich zur Hälfte in meinem Heimatstädtchen in der Provinz Alicante und zur Hälfte auf Mallorca, einem Ort, den wir, Spanier wie Deutsche, mit Urlaub, Freiheit und Glück verbinden. Zwar habe ich beim Schreiben vor allem an die Menschen meiner Generation gedacht, weil ich wusste, dass sie sich wiedererkennen würden, als blickten sie in einen dunklen Spiegel, aber ich hoffe auch, eine jüngere Leserschaft zu erreichen, die sich für das Spanien der Siebzigerjahre interessiert und nebenbei feststellen wird, dass viele der Probleme und Sorgen, die man mit achtzehn hat, bis heute die gleichen geblieben sind. Es ist ein Buch für Frauen und Männer, wie alle meine Romane, allerdings gebe ich zu, dass ich diesmal besonders an die Frauen gedacht habe.
Ich lebe seit vielen Jahren in Österreich, und auch wenn ich mich immer noch als Spanierin fühle, weiß ich mittlerweile doch, dass wir Europäer viele Erfahrungen und Erinnerungen gemeinsam haben. Obschon manches in diesem Roman befremden mag – als läse ein spanischer Leser eine Geschichte, die beispielsweise im Kölner Karneval spielt –, ähneln die Protagonisten in ihren Gefühlen und Verhaltensweisen den Deutschen oder Österreichern um 1973/74 doch sehr. Darum möchte ich diese Geschichte meinen deutschsprachigen Lesern und Leserinnen widmen, insbesondere jedoch – mit Verlaub, meine Herren – den Leserinnen, nicht nur denen, die mir bereits durch die drei auf Deutsch erschienenen Romane gefolgt sind, sondern auch denen, die dieses Buch durch Zufall entdeckt haben: allen diesen mutigen, streitbaren, fröhlichen, fleißigen Frauen, die so oft nach außen hin stärker wirken, als sie sind, und nach Kräften versucht haben, sich an allen Fronten zu bewähren, als Töchter, Gattinnen, Mütter, Freundinnen und im Beruf …
Den Frauen, die Narben tragen, diese aber nicht mehr überschminken, sondern stolz darauf sind, durchgehalten zu haben, auch wenn dabei so manches auf der Strecke geblieben ist, wie die Wespentaille und die straffe Haut, die lachen können, auch wenn man davon Falten bekommt, und die weinen können, weil sie gelernt haben, wie tröstlich Weinen sein kann, vor allem, wenn man es gemeinsam tut.
Meinen deutschsprachigen Leserinnen zum Dank, dass es sie gibt und dass sie meine Welt und meine Erinnerungen mit mir teilen möchten. Und auch meinen Lesern, die gewisse Dinge vielleicht erstmals durch die Augen einer Frau sehen werden.
Danksagung
Ich möchte allen meinen Freunden danken, die mich mit ihrer Zeit,
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