Töchter des Schweigens
weiß wie die Wand.
»Hast du es dabei?«, fragt Tere, ohne sich zu bemühen, besonders leise zu sprechen.
»Hier, bitte. Mehr konnte ich nicht auftreiben, ohne dass Loles etwas bemerkt hätte, aber es sollte reichen. Du musst ja nicht nach London.«
»Nein, natürlich nicht. Ich begnüge mich ja mit einer Engelmacherin, nicht wahr?«
»Tere, bitte. Ich wollte nicht, dass es so ausgeht, das weißt du. Aber durch Loles’ Schwangerschaft ist jetzt alles viel komplizierter. Mach es mir nicht noch schwerer.«
»Dir? Weißt du eigentlich, wie schwer es für mich ist?«, fragt Tere, kurz davor zu explodieren. »Weißt du, was es heißt, in den Schuldirektor verliebt zu sein und das acht Monate lang vor allen zu verheimlichen und jetzt zu einer Abtreibung zu gehen, ganz allein, in irgendein Hinterzimmer, aus dem ich nicht weiß, ob ich lebend wieder herauskomme?«
Telmo greift nach ihrer Hand auf dem Tisch, doch Tere schüttelt sie ab, als verbrennte sie sich daran.
»Ich bin ein Vollidiot! Ein Vollidiot, der deine Lügen geglaubt hat, wenn du gesagt hast, dass du mich liebst und deine Frau verlassen wirst und mit mir leben willst. Es wird mir eine Lehre sein!«
»Tere. Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt, das war nie gelogen …, aber ich wusste ja nicht, dass Loles …, und jetzt … jetzt, in diesem Augenblick geht es nicht. Ich habe keine Wahl, Liebling. In ein paar Monaten besuche ich dich in Valencia. Wir werden noch eine Chance haben, ich schwöre es.«
»Ich will keine Chance mehr, Telmo. Ich will, dass du mich in Frieden lässt und mich vergisst. Ich will dich nie wiedersehen.« Tere steht auf, steckt den Umschlag ein, den der Direktor ihr gegeben hat, und wendet sich zur Tür.
Er springt auf und will sie umarmen.
»Tere, Tere, bitte, verlass mich nicht. Gestern Abend bin ich fast wahnsinnig geworden, als ich dich mit diesem Kerl in der Diskothek gesehen habe. Verlass mich nicht, Liebste.«
Mit einem Ruck reißt sie sich los und eilt hinaus.
Mati lächelt, erfüllt von einem Triumphgefühl, wie sie es noch nie im Leben empfunden hat, kommt aus ihrem Versteck, öffnet die Tür ins Freie, rennt über das Deck und steht an der Tür zum Gang, bevor Tere ihre Kabine erreicht hat.
»Pssst!«
Tere dreht sich zu ihr um.
»Jetzt weiß ich, wo bei dir der Hund begraben liegt, Musterkind«, sagt sie. »Eine Abtreibung, alle Achtung! Und eine Affäre mit dem Direktor. Weißt du, wie lange sie dich für eine Abtreibung verknacken können?«
Tere lässt den Türgriff los und geht an Deck, wo Mati in Schatten gehüllt und mit windzerzaustem Haar auf sie wartet.
»Was willst du? Was zum Teufel willst du, du Drecksau?«, brüllt Tere sie verzweifelt an, während sie auf sie zugeht.
Mati, die nicht noch einmal in eine solche Situation geraten will wie zuvor mit Candela, kommt aus ihrem Winkel und tritt an die Reling. Tere folgt ihr brüllend, ihre Worte sind bei dem Wind jedoch nicht zu verstehen.
Mati schwelgt in einem irrsinnigen Siegesrausch. Nie hat sie sich stärker, mächtiger gefühlt. Vor lauter Freude lacht sie unwillkürlich los.
Tere stürmt auf sie zu wie eine Furie und stößt sie gegen die Bordwand, damit sie still ist, damit sie, verdammt noch mal, endlich aufhört zu lachen. Ohne zu wissen, was sie tut, fängt sie an, auf Mati einzuschlagen wie in der Nacht zuvor auf den Schweden, ohne nachzudenken, ohne Plan. Mati verteidigt sich, kann aber nicht aufhören zu lachen, und das schwächt sie.
Eine starke Welle wirft beide zu Boden. Kaum ist es Mati gelungen, sich hochzurappeln, nutzt Tere, noch in der Hocke, den unsicheren Stand ihrer Gegnerin, nimmt alle Kraft zusammen und versetzt ihr einen Stoß, der Mati über die Bordwand hebt.
Tere hört ihren Aufschrei wie durch Watte, beugt sich über die Reling und sieht in der Schwärze des Meeres einen kleinen weißen Punkt zwischen den Schaumkronen der Wellen taumeln. Zu ihrer Rechten hängt ein Rettungsring, aber sie rührt keinen Finger. Sie starrt unverwandt auf Matis Kopf, den sie in der Dunkelheit schon kaum noch ausmachen kann. Sie schlingt beide Arme fest um ihren Körper, holt tief Luft und macht sich auf den Rückweg zu ihrer Kabine.
Gegen den gelblich beleuchteten Gang zeichnet sich die Silhouette Telmos ab, der sie entsetzt ansieht.
»Was hast du getan, Tere?«
Sie schiebt ihn grob zu Seite.
»Wenn du auch nur ein Wort davon sagst, erzähle ich alles, Telmo. Alles. Du verlierst deine Arbeit, deinen guten Ruf, deine Frau und
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