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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: barcelo
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nichts mehr so ist wie früher. Sie will ihr nicht erzählen, dass sie sich vor kaum zwei Tagen spät in der Nacht von Candela verabschiedet und ihr gesagt hat, sie könnten sich nicht wiedersehen, sie sei nicht bereit, ihr ganzes Leben, das sie sich so hart erarbeitet hat, um eines Jugendtraums willen über den Haufen zu werfen, und diese Nacht sei alles, was sie ihr zu geben hätte. Sie will Teresa nicht Candelas zuerst verzweifelten, dann leeren Blick beschreiben müssen; ihre eigene Feigheit; den Ekel beim Anblick von Matis Heft, obwohl sie es nicht gelesen hat; die irrsinnige Lust, wieder mit Candela zu schlafen, trotz allem, was sie ihr gesagt hat. »Candela war wie immer«, schließt sie mit erstickter Stimme, »es geht ihr gut.«
    »Solltest du nicht lieber nach Hause gehen und dich ins Bett legen, Rita? Du siehst sehr schlecht aus. Ich erledige das mit Candela. Sie ruft dich morgen an, und ihr besprecht alles in Ruhe.«
    Rita steht auf wie ein Roboter und lässt sich zur Tür führen.
    »Soll ich dir etwas zu essen in einer Tupperdose mitgeben, falls du später Hunger bekommst?«
    Rita schüttelt den Kopf.
    »Soll Jaime dich nach Hause bringen?«
    Wieder schüttelt sie den Kopf.
    »Danke, Tere. Ich muss nur ein bisschen schlafen. Ich ruf dich morgen an.«
    Als sie auf die Straße tritt, spürt sie die Blicke der Vorübergehenden und hat plötzlich das Gefühl, in einen Horrorfilm geraten zu sein, in dem niemand ist, was er scheint, und alle dasselbe wollen: dein Blut.
     

Juni 1974
     
    Sie sind im Hotel angekommen. Im Hafen von Palma haben sie sich von der Jungengruppe, Don Telmo und Doña Loles verabschiedet und sich für den folgenden Tag zu einem gemeinsamen Ausflug zu den Cuevas del Drach, den berühmten Tropfsteinhöhlen, verabredet.
    Während die Lehrer zur Rezeption gehen, um mit der Verteilung der Zimmer zu beginnen, lassen die Mädchen ihre Koffer in der Eingangshalle stehen, eilen zu den Fenstern und bestaunen hingerissen die Aussicht auf den Garten: makelloser Rasen, weiße Liegestühle, Sonnenschirme aus Palmblättern, ein märchenhafter Pool und das leuchtend blaue, im Abendlicht rosig schimmernde Meer. Ein Wirklichkeit gewordenes Werbefoto.
    Sie fallen sich kreischend und jubelnd in die Arme, weil sie außer in den James-Bond-Filmen noch nie etwas so Herrliches gesehen haben, weil sie sieben Tage Zeit haben werden, es zu genießen, weil sie endlich dem Heimatort entronnen sind, ihrem langweiligen Schulmädchenleben, der Gewöhnlichkeit.
    Im Garten ist fast niemand mehr, nur zwei ältere Ehepaare in Badekleidung sitzen noch an einem der Tischchen neben dem Pool und spielen Karten.
    »Wenn die hier alle so alt sind …«, bemerkt Carmen mit einem schrägen Blick auf die zweifellos ausländischen Rentner.
    »Bestimmt nicht«, sagt Magda, die schon einmal in England war und sich mit den europäischen Sitten besser auskennt als die anderen. »Das ist doch ein Touristenhotel, die machen sich gerade alle schick fürs Abendessen.«
    »Abendessen? Um sieben?«
    »Zwischen sieben und acht. Und das auch nur, weil sie im Urlaub sind. Normalerweise essen sie gegen sechs zu Abend.«
    »Wenn ich um sechs zu Abend esse, habe ich, bis ich ins Bett gehe, wieder einen Bärenhunger.«
    »Los, Mädels«, sagt Sole, »auf die Zimmer, eine Dusche, ein bisschen Lippenstift, frische Klamotten und hinein ins Vergnügen!«
    »Ich habe gestern erst geduscht«, sagt Tere sehr ernst.
    »Dann duschst du eben noch mal.«
    »Wozu? Rieche ich so schlecht? Ich bade schon zeitlebens einmal in der Woche, wie alle, die keine Dusche zu Hause haben.«
    Wie immer, wenn Klassenunterschiede angesprochen werden, zieht Sole einen Flunsch und wendet sich ab.
    Schließlich ist es nicht ihre Schuld, wenn ihre Familie mehr Geld hat als die der anderen, ausgenommen die von Candela vielleicht, und sie kann auch nichts dafür, dass Tere ihr Leben lang in Kasernen gehaust hat.
    »Doña Marisa hat recht«, stellt Marga mit verzücktem Lächeln fest. »Das ist das Paradies, Mädels.«
    »Kommt, Don Javier winkt uns zu sich.« Ana schiebt die anderen in Richtung Rezeption.
    Marga lässt sich mitziehen, erfasst von einem Gefühl der Schwerelosigkeit, als schwebte sie zwischen den anderen dahin. Endlich ist ihr Traum wahr geworden, nachdem sie monatelang dafür gearbeitet, Geld gesammelt, die einen zu diesem und die anderen zu jenem überredet haben. Sie sind auf Mallorca! Alle ihre Freundinnen. Und Candela.
    Und obendrein ist Manolo in einem

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