Tödliche Aktien
dringend einen Glimmstengel.«
Ich zögerte. Der Stand war von Neugierigen umlagert, viele von ihnen potentielle Käufer.
»Komm, wir stehen seit vier Stunden hier, wir haben uns ’ne Pause verdient.« Sie nahm mich am Arm und zog mich fort.
Mühsam drängten wir uns durch die überfüllte Messehalle in Richtung Ausgang. Auf riesigen Spruchbändern, die von der Decke hingen, stand SIGGRAPH. SIGGRAPH ist die wichtigste Messe für Virtuelle Realität, und so umfangreich wie dieses Jahr in Orlando war sie noch nie gewesen. Weder Kosten noch Mühe hatte Jenson an dem gemeinsamen FairSystems/Jenson-Stand gescheut, und unser System war der Knüller der Ausstellung. Zwar wurden noch einige andere Systeme angeboten, die ebenso leistungsfähig waren wie unseres, aber nicht annähernd so preiswert. Und keines von ihnen würde in jedem verkauften Windows-Programm gleich mitenthalten sein. Wir waren wirklich auf dem besten Weg, die Virtuelle Realität unters Volk zu bringen.
Es war der dritte Messetag. Das Projekt Plattform war unter seinem neuen Namen »VR Master« vorgestellt worden und hatte sofort Riesenaufsehen erregt. Mittlerweile standen die FairSystems-Aktien bereits bei achtzehn Dollar und stiegen weiter. Laufend gingen Aufträge ein, und die Fertigungsstraßen bei Jenson Computer in Palo Alto waren angelaufen. Richards Traum wurde Wirklichkeit.
Aus der riesigen, klimatisierten Halle traten wir in das helle Mittagslicht. Es war heiß und schwül, doch darauf nahm Rachel keine Rücksicht. Sie zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. Wir saßen auf den Stufen vor der Halle. Menschentrauben schoben sich an uns vorbei und bewegten sich mühsam in der Julihitze vorwärts. Zwanzig Meter weiter saß eine Gruppe junger Leute auf dem frisch gesprengten Rasen und aß Sandwiches.
Ich warf einen Blick auf Rachels Gesicht. Ich wußte, daß sie in der letzten Woche nicht viel Schlaf gefunden hatte, aber es war ihr nicht anzusehen. Wach und intelligent wie immer leuchteten ihre dunklen Augen unter dem zerzausten Haar. Sie sah, daß ich sie anblickte, und schlang den Arm um mich. Ein oder zwei Minuten saßen wir schweigend.
Alles fügte sich aufs beste. Jenson erwies sich als tatkräftiger Verbündeter und hatte sich entschieden dafür eingesetzt, daß Rachel die Leitung von FairSystems übernahm. Ich trat mit Vergnügen in den Hintergrund, ließ sie machen und half ihr, wo ich konnte. Die Rentenmärkte lockten. Wer ihnen einmal verfallen ist, kommt nicht mehr von ihnen los.
In diesem Augenblick hatten die jungen Leute ihren Imbiß beendet und standen auf. Sie traten näher und begannen vor der Messehalle im Kreis zu gehen. An den Hemden trugen sie das Abzeichen der »Liga für die Schöne Alte Welt«. So trotteten sie im Kreis, lachten, unterhielten sich und verteilten Flugblätter an die Passanten. Auf ihren Plakaten standen Slogans wie: »Rettet unsere Kinder«, »Die Virtuelle Hölle wartet schon«, »Laßt die Realität real bleiben«.
Nachdenklich betrachtete ich sie. Ich dachte an das Hochgefühl, das ich empfunden hatte, als ich Bondscape benutzt hatte, und an das außerordentlich traumatische Erlebnis, das wir Sorenson bereitet hatten. Richard hatte recht. Die Virtuelle Realität konnte viel Gutes bewirken. Aber ich hatte auch Doogies Worte nicht vergessen. Was würde geschehen, wenn diese Technik allen zur Verfügung stand, auch den Geisteskranken, Perversen, Psychopathen und Sadisten?
»Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte Rachel verständnisvoll. »Aber das hat jetzt keinen Zweck mehr.« Sie drückte ihre Zigarette aus. »Komm, wir müssen ein paar VR-Systeme verkaufen.«
DANKSAGUNG
Bei der Abfassung dieses Buches haben mir viele Menschen geholfen. Mein besonderer Dank gilt Anne Glover und ihren Kollegen bei Virtuality, Mike Bevan, einem Redakteur bei VR News, sowie Paul Marshall von Maxus Systems International, dessen Finanzsoftware das Vorbild für Bondscape war.
Gelegentlich kommen in diesem Buch auch die Namen wirklich vorhandener Unternehmen vor. Doch die Geschehnisse, in die sie hier verwickelt sind, haben rein fiktiven Charakter. Die Unternehmen FairSystems, Jenson Computer, Onada Industries, Harrison Brothers, Banque de Genève et Lausanne und Wagner Phillips sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlich existierenden Organisationen ist zufällig.
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