Toedliche Spiele
doch selbst nicht«, sagt Peeta und zieht mir die Kapuze hoch, aber er zittert sogar noch mehr als ich.
Die nächsten Stunden sind die schlimmsten meines Lebens und das will was heißen. Die Kälte wäre schon quälend genug, aber noch schlimmer ist es, Cato zuzuhören, wie er stöhnt und bettelt und schließlich nur noch winselt, während die Bestien sich über ihn hermachen. Schon bald ist mir egal, wer er ist oder was er getan hat, und ich will nur noch, dass sein Leiden ein Ende hat.
»Warum töten sie ihn nicht einfach?«, frage ich Peeta. »Du weißt, warum«, sagt er und zieht mich noch enger an sich.
Ja, ich weiß es. Kein Zuschauer kann jetzt weggucken. Für die Spielmacher ist es Topunterhaltung, der absolute Höhepunkt.
Immer weiter geht das so und irgendwann kann ich an nichts anderes mehr denken, es überlagert alle Erinnerungen und Hoffnungen, löscht alles aus bis auf das Hier und Jetzt, und ich kann mir kaum noch vorstellen, dass es sich jemals ändern wird. Es wird nie mehr etwas anderes geben als Kälte und Angst und die qualvollen Laute des Jungen, der hier unter dem Horn stirbt.
Peeta nickt nun doch langsam ein und jedes Mal brülle ich seinen Namen, immer lauter, denn wenn er jetzt stirbt, werde ich völlig wahnsinnig. Er kämpft dagegen an, wahrscheinlich mehr um meinetwillen als um seinetwillen, aber es fällt ihm schwer, denn wenn er das Bewusstsein verlöre, könnte er alldem entfliehen. Doch das Adrenalin, das durch meinen Körper gepumpt wird, würde mich davon abhalten, ihm zu folgen, deshalb kann ich ihn nicht gehen lassen. Ich kann einfach nicht.
Nur am Himmel, wo sich der Mond langsam vorwärtsschiebt, können wir ablesen, dass die Zeit vergeht. Immer wieder zeigt Peeta auf den Mond, damit ich sehe, wie er wandert, und manchmal keimt kurz ein Funken Hoffnung in mir auf, bevor die Pein dieser Nacht mich wieder verschlingt.
Endlich höre ich ihn flüstern, dass die Sonne aufgeht. Ich öffne die Augen und sehe, wie die Sterne im fahlen Licht der Dämmerung verblassen. Ich sehe auch, wie blutleer Peetas Gesicht geworden ist. Wie wenig Zeit ihm noch bleibt. Und ich weiß, dass ich ihn zurück ins Kapitol bringen muss.
Die Kanone ist immer noch nicht abgefeuert worden. Ich lege mein gutes Ohr an das Füllhorn und höre Catos Stimme.
»Ich glaube, er ist jetzt näher. Kannst du ihn erschießen, Katniss?«, fragt Peeta.
Wenn er nah an der Öffnung ist, kann ich ihn vielleicht erwischen. So, wie die Dinge liegen, wäre das ein Gnadenakt.
»Mein letzter Pfeil steckt in deinem Druckverband«, sage ich.
»Nimm ihn«, sagt Peeta. Er öffnet den Reißverschluss seiner Jacke und lässt mich hinaus.
Ich befreie den Pfeil und knote den Druckverband so fest zu, wie es mir mit meinen eiskalten Fingern möglich ist. Ich reibe die Hände aneinander, damit das Blut besser fließt. Ich krieche nach oben und beuge mich über den Rand des Horns, unterstützt von Peetas Händen.
Es dauert etwas, bis ich Cato in dem matten Licht und all dem Blut entdecke. Dann gibt das rohe Stück Fleisch, das einmal mein Gegner war, einen Laut von sich und ich erkenne die Stelle, wo sein Mund ist. Ich glaube, das Wort, das er sagen will, ist
bitte.
Mitleid, nicht Rachsucht lässt mich den Pfeil in seinen Schädel abschießen. Peeta zieht mich zurück, in der Hand den Bogen, der Köcher ist leer.
»Hast du ihn erwischt?«, flüstert er.
Zur Antwort ertönt ein Kanonenschuss.
»Dann haben wir gewonnen, Katniss«, sagt er dumpf.
»Hipp, hipp, hurra!«, bringe ich hervor, aber in meiner Stimme liegt keine Siegesfreude.
Ein Loch tut sich in der Ebene auf und wie auf Kommando springen die verbliebenen Mutationen hinein und verschwinden, als sich die Erde über ihnen schließt.
Wir warten darauf, dass ein Hovercraft Catos Überreste abholt, auf die Siegesfanfaren, die nun ertönen mussten, aber nichts geschieht.
»Hey!«, rufe ich gen Himmel. »Was ist los?« Die einzige Antwort ist das Gezwitscher der erwachenden Vögel.
»Vielleicht liegt es an der Leiche. Vielleicht sollen wir uns entfernen«, sagt Peeta.
Ich versuche mich zu erinnern. Muss man sich von dem letzten getöteten Tribut entfernen? In meinem Hirn ist es zu konfus, ich weiß es nicht genau, aber was sonst könnte der Grund für die Verzögerung sein?
»Okay. Glaubst du, du schaffst es bis zum See?«, frage ich.
»Ich muss es wohl versuchen«, sagt Peeta. Vorsichtig lassen wir uns am spitzen Ende des Füllhorns hinuntergleiten und fallen zu Boden.
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