Toedliche Wut
Es kann also funktionieren.
An Schlafen ist natürlich nicht zu denken, und so aktiviere ich das Funkgerät. Mona meldet sich mit einem munteren: »Painters Mill Polizeirevier!«
»Hallo, ich bin’s.«
»Was gibt’s, Chief?«
»Ich möchte, dass Sie unsere Herren zu einem kurzen Briefing einbestellen.«
»Heute Morgen? Ist was passiert?«
Ich erzähle ihr von meiner Unterhaltung mit Tomasetti. »Nach Möglichkeit sollten alle in der nächsten Stunde eintreffen. Ich fahre kurz nach Hause, dusche und packe ein paar Sachen.«
* * *
Ich brauche eine Stunde, um zu duschen und genug Kleidung für ein paar Tage einzupacken. Ich bin wirklich kein Modefreak, muss aber ziemlich lange überlegen, was ich mitnehmen soll. Normalerweise trage ich mein Standardoutfit: die gute alte Polizeiuniform in schlichtem Blau und ein ledernes Schulterholster. Ohne jeden Schnickschnack. Nach drei Jahren als Polizeichefin identifiziere ich mich damit, zumindest was den Stil betrifft. Doch dieser Beraterjob entfernt mich Lichtjahre von meiner heimischen Wohlfühlzone. Und nicht zu vergessen John Tomasetti. Auch wenn ich mit Mode nicht viel am Hut habe, bin ich doch eine Frau und trotz meiner amischen Herkunft ein wenig eitel.
Ich entscheide mich für ein legeres Businessoutfit: khakifarbene Hose, schwarze Hose und Jeans, zwei Blazer, zwei Jacken, eine Bluse und ein paar schöne T-Shirts. Ich ärgere mich über mich selbst, weil ich so lange gebraucht habe, wo ich doch noch hundert Meilen fahren muss, verzichte deshalb auf Schmuck, werfe meine Toilettenartikel in die Tasche und eile zur Tür.
Auf dem Weg zum Revier rufe ich Bürgermeister Auggie Brock an, um ihm die Neuigkeiten zu unterbreiten. Natürlich nicht ohne hervorzuheben, wie sehr unsere Beziehung zu einer wichtigen überregionalen Polizeibehörde davon profitieren wird.
»Wie lange sind Sie weg?«, lautet erwartungsgemäß seine erste Frage.
»Ich bin nicht sicher«, antworte ich. »Zwei, drei Tage.«
Der Laut am anderen Ende zeigt mir, dass er nicht begeistert ist. Aber ihm ist klar, dass er nicht nein sagen kann, denn seit drei Jahren habe ich keinen Urlaub genommen und in den meisten Wochen auf meinen freien Tag verzichtet. Im Notfall habe ich also ein paar gute Argumente, dass er mich gehen lässt.
»Das ist dann aber Ihre Privatsache«, sagt er. »Sie müssen Ihren Urlaub dafür verwenden. Und natürlich können wir Ihnen keine Reisekosten erstatten, unser Budget ist sehr begrenzt.«
»Das BCI zahlt ein Tagegeld und die Auslagen.«
»Das ist gut.« Ich kann fast hören, wie er das Für und Wider abwägt und sich ein Worst-Case-Szenario vorzustellen versucht.
Eine unbehagliche Stille tritt ein. Ich überlege gerade, wie ich das Gespräch elegant beenden kann, als er das eine Thema anspricht, das ich gern vermieden hätte. »Vor Ihrer Abreise«, sagt er schließlich, »also, ich wollte Sie schon die ganze Zeit wegen Bradford anrufen. Wegen der Anklage.«
»Auggie –«
»Er ist minderjährig … ein gutes Kind, das noch das ganze Leben vor sich hat.«
»Wir haben schon alles dem Bezirksstaatsanwalt übergeben, das wissen Sie doch.«
»Sie könnten … die Klage zurückziehen.«
»Die Klage zurückziehen?«, wiederhole ich ungläubig seine Worte. Ich bin einiges von Auggie gewöhnt, aber das ist echt unverschämt. »Wir haben ihn mit Drogenbesteck und dreißig Gramm Marihuana erwischt. Er hat auf einen meiner Officer eingeprügelt, T. J. musste genäht werden, Auggie. Das kann man nicht ungeschehen machen.«
»Aber Sie müssen doch mildernde Umstände gelten lassen. Bradford war völlig durcheinander wegen –«
Ich kenne Bradford Brock nicht persönlich, habe aber den Polizeibericht gelesen. Der sogenannte »gute Junge« hatte genug Marihuana dabei, um damit sämtliche Highschool-Kiffer einen Monat lang zu versorgen. Und laut Bluttest war er randvoll mit Methamphetamin.
»Stress wegen einer Highschoolprüfung ist kein mildernder Umstand«, sage ich ihm.
»Hören Sie, ich kann nur schwer glauben, dass mein Sohn dreißig Gramm Marihuana bei sich gehabt haben soll. Vielleicht hat T. J. … überreagiert. Vielleicht könnten Sie seinen Bericht … korrigieren. Zumindest hinsichtlich der Menge.«
Das Gespräch hat eine Richtung eingeschlagen, die mir äußerst unangenehm ist und die ich nicht weitergehen will. »Ich finde, wir sollten diese Unterhaltung jetzt beenden.«
»Das kann ich nicht. Er ist mein Sohn.« Auggie stößt einen Seufzer aus.
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