Toedliche Wut
mit Kaffee und trinke die Hälfte auf dem Weg in mein Büro, wo ich das Licht anknipse und von Toner- und Papierstaubduft empfangen werde. Der Raum ist kaum größer als ein begehbarer Wandschrank und vollgestopft mit einem Metallschreibtisch, einem Aktenschrank, zwei Besucherstühlen, einer halbtoten Birkenfeige und einem Bücherregal, auf dem eine kaputte Kaffeemaschine steht – das Ganze schlecht beleuchtet und mit einem schmuddeligen Fenster zur Main Street hinaus. Doch ungeachtet aller Unzulänglichkeiten, ist dies mein Zuhause außerhalb von zu Hause, und an den meisten Tagen bin ich richtig froh, hier zu sein.
Ich lasse meine Reisetasche neben der Tür fallen, gehe zum Schreibtisch und wähle die Nummer von Sheriff Rasmussen. Ich kenne den Sheriff jetzt fast ein Jahr. Er ist ein geradliniger Mann und ein guter Polizist. Wir haben schon ein paar Biere zusammen getrunken, sind aber auch einige Male aneinandergeraten. Letzten Dezember haben wir gemeinsam an einem Fall gearbeitet, bei dem eine vierköpfige Familie ihr Leben verloren hat. Es waren schwierige Ermittlungen gewesen, an deren Ende alle Beteiligten fassungslos zurückblieben, mich eingeschlossen. Für mich war es besonders hart gewesen, da ich zum ersten Mal in meiner Laufbahn als Polizistin einen Menschen töten musste. Noch heute macht mir das zu schaffen, meist in Form von Albträumen. An schlechten Tagen habe ich sogar Flashbacks von dem Moment, als ich abgedrückt habe, und jedes Mal frage ich mich dann, ob ich auch anders hätte handeln können.
Am anderen Ende der Leitung fordert mich Rasmussens Stimme auf, eine Nachricht zu hinterlassen. Golfwetter, denke ich nur, und vermelde, dass ich für ein paar Tage die Stadt verlasse und er in der Zeit mal in Painters Mill vorbeischauen soll. Ich hinterlasse meine Handynummer und sage, dass er sich nötigenfalls an Glock wenden solle.
Ich habe kaum aufgelegt, als Mona durchruft, dass alle Mitarbeiter eingetroffen seien. Ich schalte meinen Computer ein, weil er ewig braucht, um hochzufahren, und mache mich auf zum Besprechungszimmer. Im Flur treffe ich Officer Chuck »Skid« Skidmore. Er ist etwa dreißig, unverheiratet, und sein Humor kommt bei vielen Bürgern nicht so gut an. Da seine vielversprechende Laufbahn bei der Polizei in Ann Arbor im Staat Michigan wegen außerdienstlicher Trunkenheit am Steuer ein abruptes Ende fand, hatte ich ihm bei der Einstellung unmissverständlich klargemacht, keine Sekunde mit seinem Rauswurf zu zögern, sollte er auch nur einmal betrunken im Dienst erscheinen; und dass ich dann alles daransetzen würde, ihn für alle Zeiten aus dem Polizeidienst zu entfernen. Er arbeitet jetzt seit drei Jahren hier, und wir hatten noch nie Probleme miteinander.
Vor acht Monaten traf ihn bei der Jagd auf einen Killer eine Kugel am Kopf, die glücklicherweise nicht in den Schädel eindrang und ihm nur eine klaffende Wunde und eine Gehirnerschütterung bescherte. Noch heute ziehen wir ihn gelegentlich wegen seines dicken Schädels auf, aber das steckt er locker weg. Und auch wenn er nicht gerade mein freundlichster Mitarbeiter ist, kann ich doch immer auf seine Rückendeckung zählen, wenn es einmal brenzlig wird.
»Wie war Ihre Reise?«, frage ich.
»Ungefähr zwei Tage zu lang.«
»Sie waren doch nur zwei Tage weg.«
»Eben.« Er grinst. »Danke, dass Sie für mich eingesprungen sind, Chief.«
»Ist mit Ihren Eltern alles okay?«
»Denen geht’s gut. Haben sich gefreut, mich zu sehen, ob Sie’s glauben oder nicht.«
»Die haben nur so getan als ob, Kumpel«, lässt eine tiefe Stimme verlauten.
Glock tritt neben Skid, und die beiden Männer begrüßen sich mit einem Handschlag. »Hat er Ihnen erzählt, dass er nach Michigan fährt?«, fragt Glock mich.
»Wer’s glaubt, wird selig«, murmelt Mona im Vorbeigehen.
»Wahrscheinlich hat er sich im Brass Rail die Kante gegeben«, sagt Glock grinsend. »Ich würde ihn feuern.«
»Wer wird gefeuert?«, ertönt eine raue Stimme von hinten, und wir drehen uns alle drei um.
Roland »Pickles« Shoemaker kommt angeschlurft, in den knorrigen Händen ein buntes Sortiment randvoller Kaffeetassen. Mit seinen fünfundsiebzig Jahren ist er mein einziger Hilfspolizist und arbeitet Teilzeit – wenn ich ihn dazu bewegen kann, nach dem Dienst nach Hause zu gehen. In den achtziger Jahren hatte er im Alleingang einen der größten Methamphetamin-Ringe im Staat hochgehen lassen. Inzwischen geht bei ihm zwar alles etwas langsamer, aber das
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