Toedliche Wut
etwas, worauf ich mich verlassen kann.
Als ich heute Morgen kurz nach sieben aufgewacht bin, war Tomasetti schon weg. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen oder sich zu verabschieden, ist er in typischer Tomasetti-Manier lautlos aus der Tür geschlüpft. Das kann er gut – gehen, ohne mir auch nur einen Kuss zu geben.
Ich bin wirklich keine Beziehungsexpertin, aber ich weiß, wenn etwas gut ist. Und das, was wir uns geschaffen haben, ist wertvoll und selten. Ich hoffe nur, dass es auch hält, denn zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben habe ich jemandem die Macht gegeben, mich auch zu verletzen.
Ich steige aus dem Explorer und gehe zum Eingang, kann es auf einmal kaum erwarten, meine Mitarbeiter wiederzusehen. Zu erfahren, was in der Zwischenzeit alles passiert ist, und zwar nicht nur die dienstlichen Vorkommnisse, sondern auch die kleinen privaten, die sie mir hin und wieder anvertrauen. Ich will in meinem Büro sitzen und hören, wie Mona und Lois sich wegen Banalitäten streiten. Ich will mich über die blöde Birkenfeige ärgern und die Archivierung der alten Akten, die seit drei Monaten in Kartons auf dem Boden stehen, weiter vor mir herschieben. Ich will mit meiner Schwester und meinem Bruder reden und einen Weg finden, all das Porzellan, das zwischen uns zerschlagen wurde, zu kitten – Dinge, die die Vergangenheit und mein eigener Stolz kaputtgemacht haben. Ich will Tomasetti anrufen und die Worte sagen, die ich gestern Abend nicht sagen konnte.
Im Revier riecht es nach Kaffee und altem Haus und nach etwas, das mich seltsamerweise an Wachs mit Zitrone erinnert. Aus Monas Radio tönt ein bluesiger Song von Tracy Chapman. Weit und breit ist niemand zu sehen, dafür sind die gedämpften Stimmen meiner beiden Mitarbeiterinnen zu hören. Ich gehe zur Empfangstheke und werfe einen Blick dahinter. Die Telefonanlage auf dem Tisch ist zur Seite geschoben, daneben steht eine Dose Möbelpolitur mit einem schmutzigen weißen Lappen obendrauf.
Lois ist halb unter dem Schreibtisch verschwunden, ein Kabel in der Hand. »Ich weiß nicht, wo das reingehört«, schimpft sie.
»Steck’s doch da in die Steckdosenleiste.« Monas rote Stilettos gucken unter dem Tisch hervor, auch sie ist offensichtlich auf allen vieren. Wie immer bedeckt ihr Rock kaum die Hälfte von dem, was er bedecken sollte.
»Und wenn es wieder anfängt zu rauchen?«
»Seh ich vielleicht wie ’n Elektriker aus?«
Ich räuspere mich. »Soll ich zur Sicherheit schon mal die Feuerwehr alarmieren?«
»Oh, verdammt.« Lois steckt den Kopf unter dem Schreibtisch hervor und schaut mich betreten an.
»Oh, hallo, Chief.« Mona kommt rückwärts zum Vorschein, in einer Hand einen Staubwedel und in der anderen ein Kabel.
»Die Telefone funktionieren?«, frage ich, nur ein klein wenig besorgt.
»Die Anlage und die Funkverbindungen wurden zu keinem Zeitpunkt lahmgelegt.«
Lois zupft eine Wollmaus aus Monas Haaren, und beide Frauen fangen an zu lachen. Auch ich kann mir ein Kichern nicht verkneifen, das sich aber schnell zu einem herzhaften Lachen auswächst und mir die Tränen in die Augen treibt.
»Was gibt’s denn so Lustiges?«
Ich drehe mich um, sehe Pickles und Skid bei der Eingangstür stehen. Auf der anderen Seite des Raums lehnt Glock mit verschränkten Armen an der Trennwand seiner Arbeitsbox und schüttelt den Kopf.
»Das wissen wir auch nicht so richtig«, sagt Lois, und wir fangen alle drei wieder zu lachen an.
Skid wirft einen Blick auf das Kabelchaos unter dem Schreitisch. »Das ist wunderbares Futter für einen Brandherd.«
Ich gehe zur Kaffeemaschine und schenke mir eine Tasse ein. Die Untaten der Masts haben es bis in alle Nachrichtensendungen geschafft. Moderatoren aus Bangor im Bundesstaat Maine bis hinunter nach San Diego wiederholen sie gebetsmühlenartig schon den ganzen Morgen über. Mein Team fragt sich bestimmt, was davon wahr ist und was Sensationsmache.
»Alles ruhig an der Heimatfront?«, frage ich.
Skid knurrt verärgert. »Garth Hoskins hat heute Nacht an der Hogpath Road ein Stoppschild überfahren und ist dem alten Jeffers voll in die Seite vom Pick-up geknallt.«
»Jemand verletzt?«
Er schüttelt den Kopf. »Ich hab Hoskins herbestellt.«
Garth Hoskins ist achtzehn Jahre alt und fährt einen 1971er Mustang mit Fließheck, der mehr Pferdestärken hat als sein Hirn Zellen.
»Ich rede mit ihm«, sage ich.
Und dann sind sämtliche Blicke erwartungsvoll auf mich gerichtet. Ich erzähle ihnen alles, was ich
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