Toedlicher Sumpf
lege ich die Beretta auf den Tisch und streife meine Baumwollhandschuhe über. Ich hocke mich neben ihn und drücke mitden Fingern auf seinen Hals. Als ich seinen leeren Blick sehe, wallt plötzlich so etwas wie Mitleid in mir auf, und mir geht durch den Kopf, was meine Professorin über Edna P. gesagt hat: Manchmal ist auch der Tod eine Art von Freiheit.
Aber sein Tod. Nicht meiner.
Ich gehe durch den Flur und reiße Türen auf. Da ist niemand.
Dann kehre ich ins Wohnzimmer zurück, greife sein Messer mit der Linken, strecke den rechten Arm aus, als wollte ich einen Schlag abwehren, und ziehe die Klinge einmal über meinen rechten Unterarm. Schmerz durchzuckt mich wie eine weiße Flamme, und ich lasse das Messer neben ihn auf den Boden fallen.
Der Schnitt blutet. Ich ziehe die Handschuhe aus, stopfe sie ganz nach unten in meine Tasche, hole mein Handy hervor und wähle 911.
Da wir in New Orleans sind, klingelt es zwölf Mal. Ich bleibe vor einem der goldgerahmten Spiegel stehen.
»Ein Mann wurde verletzt«, sage ich, als sich endlich jemand meldet, und das Adrenalin macht, dass ich mich nach echter Angst anhöre. »Er hat mich angegriffen, und ich habe auf ihn geschossen. Kommen Sie schnell. Er stirbt.« Das ist gelogen. Er ist bereits tot.
Ich nenne die Adresse, und als die Beamtin nach meinem Namen fragt, sehe ich mir selbst in die dunklen Augen. Hellrotes Blut läuft an meinem Arm herunter. Das Dritte und Letzte.
»Nola«, sage ich. »Nola Soledad Céspedes.«
25
Am Dienstag erscheint meine Reportage. Auf dem großartigen Foto, das neben dem Textbeginn auf der unteren Hälfte der Times-Picayune -Titelseite steht, sieht man Mark Veltri auf dem Weg zu »Deanie’s« die Lake Avenue entlanggehen, mitten hinein ins goldene Abendlicht. Ein kleiner Nachtrag zum Text, am Telefon diktiert von der Notaufnahme aus, wo mein Arm genäht wurde, besagt, dass die Autorin während eines Interviews von einem entlassenen Straftäter angegriffen wurde – einem Straftäter, der jetzt als Hauptverdächtiger im Fall Amber Waybridge gilt – und ihn in Notwehr getötet hat.
Als die Einsatzkräfte endlich da waren, fanden sie die sechzehnjährige Marisa Nicoletti gefesselt und geknebelt in einem Raum hinter dem Schrank im Flur. Die schallisolierte Kammer ist perfekt verborgen. Lanusse hat sie eingebaut, nachdem er die Wohnung gekauft hatte und bevor er Lily geheiratet hat. Das Mädchen war ausgezogen und begrapscht, aber noch nicht vergewaltigt worden. Nicht mit einem Messer verletzt. Als die Rettungsleute sie hinaustrugen, habe ich ihr in die dunklen Augen gesehen.
Am Nachmittag komme ich, den bandagierten Arm in einer Schlinge, endlich in die Times-Picayune -Redaktion. In der Lokalredaktion herrscht Hochbetrieb. Über tausend Mails an den Herausgeber sind schon eingegangen – Forderungen nach energischem Durchgreifen gegenüber den gefährlichen Vorbestraften ebenso wie Vorschläge, das Registrierungsgesetz dahingehend zu ändern, dass es den nicht gewalttätigen Vorbestraften größere Spielräume lässt. Der Strom von Leseräußerungen reißt nicht ab, und die Jungs in der Redaktion sehen mich mit ganz neuer Aufmerksamkeit an. Respektvoll geradezu.
Bailey kommt und knallt mir ein Exemplar der heutigen Ausgabe auf den Tisch.
»Du hast’s geschafft, Kleine!«, sagt er. »Die Crimestoppers haben angerufen, diese gemeinnützigen Verbrechensbekämpfer. Sie haben sich mit dem NOPD verständigt und wollen eine ganzseitige Anzeige schalten mit Fotos von den fünfzehn übelsten Typen. Sie wollen sie aufspüren.«
»Das ist doch toll.« Ich grinse ihn an. Er kann »Kleine« zu mir sagen, so viel er will. »Also ziehe ich jetzt um?«
Er grinst zurück. »Du fackelst nicht lange, was? Lass mir ein, zwei Tage Zeit, aber: ja. Wir stecken dich in die Nachrichtenredaktion. Verbrechen. Einverstanden?«
Meine neue Ecke. Ich nicke und stehe auf, um ihm die Hand entgegenzustrecken. »Danke, Sir.«
»Das warst du selbst, Kind«, sagt er. »Du bist diejenige, die es geschafft hat.«
Bento ruft an. Er hört sich stolz an und ziemlich aufgeregt. Er hat meinen Namen gesehen, die Story gelesen und seine Kollegen an der UNO darauf aufmerksam gemacht. Jetzt will er ganz genau wissen, wie es dazu gekommen ist und so weiter. » Felicidades «, sagt er immer wieder. » Felicidades .«
Es ist ein ganz neues, süßes Gefühl, dass es einen Mann gibt, der stolz ist auf mich und meine Arbeit. Wieder lädt er mich für Freitagabend zum Essen
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